Die Heldenmutter: Roman (German Edition) by Hohlbein Wolfgang & Hohlbein Heike

Die Heldenmutter: Roman (German Edition) by Hohlbein Wolfgang & Hohlbein Heike

Autor:Hohlbein, Wolfgang & Hohlbein, Heike [Hohlbein, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783838706122
Herausgeber: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch)
veröffentlicht: 2010-11-12T23:00:00+00:00


20

Der Himmel war grau und versprach wieder einmal Regen, und der Wind, der in unberechenbaren Böen in die Gesichter blies, brachte einen eisigen Hauch wie einen letzten Gruß des vergangenen Winters mit sich. Lyra fror auf ihrem Pferd, aber das war etwas, woran sie sich allmählich zu gewöhnen begann. Irgendwann während der vergangenen zehn Tage hatte sie vergessen, wie es war, nicht zu frieren.

Ihr Blick tastete über das braungrüne Muster des Tales, folgte ein Stück weit den Windungen des Flusses und blieb für die Dauer von zwei, drei Atemzügen auf den verschwommenen grauen Linien der Stadt an seinem jenseitigen Ufer hängen. Sie wirkte wie ein zusammengedrückter Spielzeugwürfel aus grauem Lehm, aber sie musste gigantisch sein, wenn sie über die große Entfernung überhaupt noch sichtbar war. Zwei Tage, hatte Dago gesagt. In zwei Tagen würden sie Dakkad erreicht haben; eine richtige Stadt mit richtigen Häusern, mit Betten und Kaminen und geheizten Zimmern. Ihr Rücken schmerzte, und wie fast immer in den letzten anderthalb Wochen wünschte sie sich zurück in ihr Tal oder wenigstens nach Dieflund. Selbst die düsteren Gänge und Hallen des Albsteines, die sie mit Schrecken und Widerwillen erfüllt hatten, erschienen ihr jetzt verlockend; sie hätte alles darum gegeben, wieder dorthin zurückkehren zu können.

Mit dem Aufbruch des Heeres hatte sich ihr Leben abermals drastisch verändert. Der Schnee, der am Morgen von Harleens Ankunft im Lager gefallen war, war der letzte des Jahres gewesen, ganz wie Erdherz es vorausgesagt hatte. Aber es war kalt geblieben, und statt des Schneetreibens hatte es zu regnen begonnen und seit diesem Tage kaum mehr wirklich aufgehört. Die Temperaturen waren kaum gestiegen. Mit jedem Tag, den sie weiter nach Süden ritten, war ihr die Kälte quälender vorgekommen, mit jedem Schritt das Schaukeln des Pferderückens unangenehmer und mit jedem Abend, der kam, die Schatten ein wenig tiefer und bedrohlicher.

Ihr Pferd schnaubte, und für einen Moment kehrten Lyras Gedanken in die Gegenwart zurück, als ein Schatten zwischen den Büschen hervortrat, einen Moment stehen blieb und dann, so still, wie er gekommen war, wieder verschwand. Sie sah dem Mann nach und versuchte, auf seine Schritte zu lauschen, aber das Wispern des Windes und das Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren verschluckten jeden anderen Laut.

Wieder suchte ihr Blick die Stadt unten im Tal, verharrte einen Moment auf ihren grauen Wänden und glitt dann weiter. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass seit ihrem Auszug aus Dieflund wirklich erst zehn Tage vergangen sein sollten. Alles wirkte so anders, so verändert und fremd: Die Welt, die sie zuvor noch nie gesehen hatte, war düsterer und feindseliger, als sie sein durfte; der Krieg, den sie nach Süden trugen, warf seine Schatten voraus, und selbst das Land schien sich zu ducken, wo der gigantische Heereszug auftauchte. Auch das Tal unter ihr wirkte tot, trotz des Friedens, der über seinen Grenzen lag. Da und dort kräuselte sich Rauch aus einem Schornstein und zerfaserte im Wind, aber die meisten Häuser lagen dunkel und wie ausgestorben da und waren es wohl auch; wie so viele, an denen sie vorübergeritten waren.



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