Die Frau, die nie fror by Elisabeth Elo & Jürgen Bürger & Kathrin Bielfeldt

Die Frau, die nie fror by Elisabeth Elo & Jürgen Bürger & Kathrin Bielfeldt

Autor:Elisabeth Elo & Jürgen Bürger & Kathrin Bielfeldt
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Tags: Gegenwartsliteratur, Roman, Belletristik
ISBN: 9783550080388
Herausgeber: Ullstein Hardcover
veröffentlicht: 2014-02-01T23:00:00+00:00


Kapitel 19

Als ich nach Hause komme, google ich zuallererst Russell Parnell. Sechs oder sieben Personen werden gefunden. Einer ist ein Journalist, der etwa zwanzig Artikel in Publikationen wie Vanity Fair, der New York Times und salon.com veröffentlicht hat, neben einer ganzen Reihe kleinerer Tageszeitungen, Magazine und Websites. Bei dem Großteil seiner Arbeiten scheint es sich um Reisereportagen zu handeln. Er hat aber auch über aktuelle medizinische Entwicklungen – Genetik, Psychiatrie, mikrobische Krankheitserreger, SARS – geschrieben und einige Umweltthemen aufgegriffen, zum Beispiel den Kahlschlag im Regenwald des Amazonasgebietes und die Reinigungsarbeiten im Anschluss an die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko.

Ich sehe mir die Ergebnisse der Bildersuche an, darunter vier ziemlich gute Fotos: eine Aufnahme aus größerer Entfernung, die ihn mit kurzgeschnittenen Haaren und einer bleistiftdünnen schwarzen Krawatte zeigt, auf dem Podium einer Journalistenorganisation schüttelt er gerade jemandem die Hand; ein Autorenfoto aus der Mitarbeiter-Rubrik eines hippen neuen Magazins; die Frontalaufnahme eines Mannes bei einem Fahrradrennen in der Wüste, das Gesicht verborgen unter einem Helm und einer verspiegelten, rautenförmigen Sonnenbrille, doch das Kinn erinnert an ihn. Mit dem vierten Foto hatte ich nicht gerechnet: eine gestellte Verlobungsaufnahme, auf der er hinter einer fülligen Brünetten mit weit aufgerissenen Augen steht. Sie sehen weder gut noch schlecht aus und können nicht älter als zweiundzwanzig sein. Beide lächeln mit der Aufgeschlossenheit junger Erwachsener ohne psychische Macken. Das Bild rührt mich und macht mich gleichzeitig traurig. Ist sie gestorben? Sind sie geschieden? Weitere detektivische Internetrecherchen bringen mich auf eine professionelle Networking-Site für Journalisten, wo ich herausfinde, dass Parnell die San Luis Obispo High School und die Columbia University besucht hat und mit vollständigem Namen Russell Alejandro Parnell heißt. Ich tippe Parnell und Jaeger zusammen ins Suchfeld von Google und erhalte keine Ergebnisse.

Auf Autopilot schleppe ich mich durch einen arbeitsreichen Tag. Am Abend gehe ich Parnells Artikel einen nach dem anderen durch. Mehrere kann ich im Volltext laden, sofern ich die jeweilige Publikation abonniere. Was leider zur Folge hat, dass ich eine langweilige Stunde damit verbringe, unbedingt erforderliche Angaben in Formularfelder einzugeben und mir Passwörter auszudenken. Ich mache mir einen Kaffee, während die Artikel ausgedruckt werden, und setze mich schließlich auf die Couch, um etwas über den verschwindenden Regenwald zu lesen und die alarmierende Ausbreitung der gegen Antibiotika resistenten Erreger wie auch über moderne Behandlungsmethoden für psychisch Schwerstkranke.

Nach etwa drei Vierteln des Artikels über psychische Gesundheit stoße ich auf die Krankengeschichte einer jungen Hispana, die einen prominenten amerikanischen Geschäftsmann geheiratet hat. Ein Jahr nach der Hochzeit zündete die Zwanzigjährige ihr Haus an. Sie verbrachte einige Monate in einer privaten psychiatrischen Klinik auf Cape Cod, bevor sie in eine betreute Wohngruppe überwiesen wurde, wo sie zwei Jahre lebte. Hier wurde ihre Medikation aufmerksam überwacht, und man half ihr bei der Erledigung alltäglicher Aufgaben. Wann immer ihre Symptome nicht mehr zu beherrschen waren, wurde sie erneut in die Klinik eingewiesen. Ihr Ehemann übernahm die finanzielle Unterstützung ihrer nächsten Angehörigen, die in engem Kontakt mit ihr blieben und sich um all ihre Belange kümmerten.

Sie war einverstanden gewesen, sich interviewen zu lassen, sofern sie anonym blieb.



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