Die Determiniertheit der psychischen Struktur durch die Gesellschaft. Zur Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie by Erich Fromm

Die Determiniertheit der psychischen Struktur durch die Gesellschaft. Zur Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie by Erich Fromm

Autor:Erich Fromm [Fromm, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 978-3-95912-095-1
Herausgeber: Edition Erich Fromm
veröffentlicht: 2015-11-01T16:00:00+00:00


d) Die unterschiedliche Erklärung der Charakterbildung und ihre Relevanz für die charakterologische Typenbildung

Wie steht es nun mit dem von Freud angenommenen Zusammenhang der prägenitalen Sexualität mit den einer bestimmten Libidostufe zugeordneten Charakterzügen? Die hier vorgeschlagene Auffassung leugnet durchaus nicht, dass in vielen Fällen ein solcher Zusammenhang besteht, nur sieht sie ihn in theoretisch verschiedener Weise. Sie sieht den Zusammenhang in zwei Richtungen.

Im Leben des kleinen Kindes stellt die Reinlichkeitserziehung eines der wichtigsten Gebiete dar, auf denen es mit der Umwelt zusammenstößt. Das Maß an Versagung, Unterdrückung, Feindseligkeit, Freundlichkeit usw. drückt sich am Medium der Regelung der primitiven körperlichen Funktionen des Kindes aus. Wenn Eltern eine unterdrückende, feindselige Haltung zum Kind haben, so wird das für das Kind in der Art, in der die Reinlichkeitserziehung durchgeführt wird, besonders deutlich, weil auf Gebieten, die im Leben des Erwachsenen eine Rolle spielen, ein Einfluss auf das kleine Kind noch nicht in Frage kommt, und weil die primitiven körperlichen Vorgänge wie Defäkationsvorgänge – oder die Ernährung – im Leben des kleinen Kindes eine zentralere Rolle einnehmen als beim Erwachsenen.

Es ist aber zu bedenken, dass ein Verhalten der Umwelt dem Kind gegenüber, welches zu trotzigen Reaktionen des Kindes führt, nicht nur und nicht notwendigerweise mit der Reinlichkeitserziehung zusammenhängt, und in vielen Fällen überhaupt keine Beziehung zu ihr hat. Bei der Mutter, die sich in Fragen der Reinlichkeitserziehung autoritär und dominierend verhält, werden sich diese Züge auch in ihrem Gesamtverhalten dem Kind gegenüber aufweisen, und dieses Gesamtverhalten wird auch die gleiche Wirkung auf das Kind haben, wenn aus dem einen oder anderen Grund die Reinlichkeitserziehung keine besonderen Konflikte hervorruft. Wenn sich das Kind einer Umwelt gegenüber fügt, die seinen sich langsam entwickelnden Eigenwillen brechen und es unterwerfen will, dann wird es Eigensinn entwickeln, ob sich nun das Verhalten der Umwelt in erster Linie darin äußert, dass die Defäkation des Kindes in überstrenger Weise geregelt wird, oder etwa dadurch, dass das Kind eingeschüchtert wird, wenn es andere Regungen seiner Selbständigkeit zeigt. Ganz das Gleiche gilt auch für die oralen Charakterzüge. Freud nimmt an, dass ein Impuls zum rein passiven Empfangen direkt zurückgeht auf die Lust am Saugen an der Mutterbrust und dass die besonderen Erfahrungen, die das Kind in dieser Hinsicht macht, maßgebend für die Entwicklung dieser Lust sind. Auch hier wieder finden wir hinreichend Fälle, wo ein Mensch schon sehr früh diese passiv empfangende Haltung entwickelt, aber nicht, weil sich in seiner Kindheit etwas Besonderes mit Hinblick auf die Ernährung ereignet hat, sondern weil sich die Umwelt in einer überversagenden und einschüchternden oder in übergewährender Weise dem Kind gegenüber verhalten hat und dadurch die Entwicklung der normalen Aktivität im Kind gehemmt hat.

Der Zusammenhang zwischen gewissen psychischen Impulsen und Körperfunktionen ist aber noch ein anderer. Die Psychoanalyse hat in zwingender Weise zeigen können, dass sich gewisse seelische Tendenzen auch in körperlichen Vorgängen ausdrücken können. Die klinischen Erfahrungen mit hysterischen und organneurotischen [XI-161] Symptomen liefern eine Fülle von Material für diese Tatsache. Kopfschmerzen als Ausdruck von Wut, Erbrechen als Ausdruck von Abscheu und Ekel, Durchfall als Ausdruck von



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