Die Bienen: Roman (German Edition) by Laline Paull

Die Bienen: Roman (German Edition) by Laline Paull

Autor:Laline Paull [Paull, Laline]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Tropen-Verlag Label von Klett-Cotta
veröffentlicht: 2014-08-22T22:00:00+00:00


KAPITEL 23

Flora krachte gegen irgendetwas Massives. Weder Flügel noch Beine konnte sie bewegen, so durchnässt war sie. Hilflos stürzte sie durch die Blätter und prallte gegen harte Äste, bis einige schwammige Flechten sie auffingen. Eine ihrer Krallen fand Halt, und da hing sie nun im Regen. Nach und nach gelang es ihr, weitere Krallen in die Flechten zu schlagen, und dabei stellte sie fest, dass sie sich nichts gebrochen hatte. Sie richtete sich auf und schob die Binden an ihrem Atemloch auseinander. Wasser rann heraus. Ganz vorsichtig kroch sie auf den Stamm des Baumes zu und drückte sich in einen trockenen Spalt.

Es war ein alter Baum, und er fühlte sich, nach der ekelhaften Heuchelei des metallischen, wunderbar an. Flora spürte, wie sich seine Kraft tief in die Erde grub und wie er seine zahllosen Arme ausstreckte und den Sturm willkommen hieß. Es war eine Birke – sie erkannte das Blattmuster von einem der Bäume bei der Kongregation wieder –, und einen Augenblick hoffte sie, dass, wenn der Regen aufhörte, Drohnen in der Tracht ihres Schwarms aus ihren Verstecken kommen würden. Sie würden sich alle schütteln und gemeinsam nach Hause fliegen.

Der Regen ließ nach und hörte schließlich ganz auf. Die winzigen, leuchtenden Augen von Autos glitten langsam über die dunklen Felder, und in weiter Ferne funkelten die Lichter der Stadt. Flora versuchte, ihre Antennen zu heben, um auch nur einen einzigen Geruch zu erfassen, aber ihre Fühler waren von Sturm und Zucker so mitgenommen, dass sie noch immer glaubten, sie würde fliegen. Also überprüfte sie erst einmal ihre tauben Flügel. Auf beiden Seiten waren die Verschlüsse geborsten, und an mehreren Stellen waren die Membranen gerissen.

Flora fing an unkontrolliert zu zittern. Offenbar war es ihr nicht bestimmt, im Sturm ein dramatisches Ende zu finden, während das königliche Gebet sie durchströmte, sodass der Tod sie im Zustand der Gnade ereilte. Auch die barmherzige Erlösung, die mit Respekt und einem gnädigen Biss zugemessen wurde, blieb ihr vorenthalten. Dieser Tod würde sich Zeit lassen. Wie sehr sehnte sie sich jetzt nach der süßen, dunklen Wärme ihres Zuhauses, nach dem Trost ihrer Familie – wie jene edlen Schwestern, deren Herzen Frieden fanden, nachdem sie sich ein letztes Mal auf ihren Kojen niedergelegt hatten.

Sterbet ach mit Würde …

Flora weinte zutiefst beschämt. Sie hatte sich von Leichtsinn und Stolz dazu verleiten lassen, in der Stadt nach Futter zu suchen, ohne dem Tanz irgendeiner Biene zu folgen. Und dann war sie von einer Wespe hereingelegt worden, die ihr Sicherheit und Zucker versprochen hatte. Es schmerzte, die inneren Kanäle ihrer Antennen zu öffnen, aber sie wusste bereits, dass das Wissen von Lilie 500 ausgelöscht worden war. Sie schlang ihre Beine um sich, wie um die Berührung einer Schwester zu spüren, und suchte in sich nach letzten Resten der königlichen Liebe. Nicht ein Molekül war übrig, nur das quälende körperliche Bedürfnis nach ihrem verlorenen Zuhause. Als sie an ihr zweites Kind dachte, ihren kleinen Drohnensohn, der jetzt verhungern würde, brüllte Flora ihren grenzenlosen Kummer hinaus. Sie wusste nur zu gut, dass sie das alles selbst verschuldet hatte.



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