Die Anomalie by Hervé le Tellier

Die Anomalie by Hervé le Tellier

Autor:Hervé le Tellier
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Tags: Thrillers, Alternative History, Fiction, Roman, General
ISBN: 9783644010765
Herausgeber: Rowohlt Verlag GmbH
veröffentlicht: 2021-08-16T22:00:00+00:00


Tisch 14

Freitag, 25. Juni 2021, 8 Uhr 30

Hangar B, McGuire Air Force Base

Begegnungen der dritten Art, wirklich? Von der Befragung zurück, schwankt Victor zwischen Zorn und schallendem Gelächter. Nicht ahnend, was der nächste Tag bringen wird, will der Schriftsteller in einem langen Katalog leidenschaftslos festhalten, was sich in diesem Hangar abspielt. Hangar, was für ein bizarres Wort. Wie hangeln? Ähnelt Hasard, dem Glücksspiel. Er hat sein Notizbuch gezückt und einen Stift und versucht, das Geschrei, den Lärm auszublenden, er macht sich Notizen: Erschöpfende Erfassung eines unwahrscheinlichen Orts. Aber nein. Warum in Perecs Schatten wandeln? Warum löst er sich nie von den Einflüssen, den Vaterfiguren? Warum ist er, wenn er nicht fürchtet, ein Hochstapler zu sein, nichts als ein kleiner Junge auf der Suche nach Anerkennung?

In aller Ruhe schreibt er: Flugmodus.

«Datum: 11. März 2021.

Viele Dinge gibt es in diesem Hangar, zum Beispiel: gut hundert ockerfarbene Zelte, ein Feldlazarett, lange Tischreihen, ein improvisiertes Basketballfeld, Dutzende von Fertigbauten, öffentliche Toiletten, zweireihige Metallbarrieren, ein ‹Informationszentrum› und niemanden, der dort informiert, einen ‹ökumenischen Raum›, auf den ein Schild in sechs Sprachen hinweist, vier Wasserspender, und noch vieles andere.

Das Wetter: zu warm, zu feucht für die Jahreszeit.

Entwurf eines Inventars der tatsächlich sichtbaren Dinge: zuerst die Buchstaben des Alphabets, von A bis E auf einer der Wände des Hangars, ein großes H für ‹Hospital›, die Wörter ‹Air France› (auf den Umhängetaschen der Stewards und Stewardessen), die Markennamen auf den Kleidern der Passagiere, ‹U. S. Air Force› auf dem Fußboden, ‹Danger›, ‹High Voltage› auf den Schaltkästen. Die Slogans an den Wänden: ‹Aim High, Fly – Fight – Win›, ‹Mors Ab Alto›, die Devise der U. S. Air Force: ‹Do something amazing›.»

Victor schreibt, ohne Hast, mechanisch. Nach allem, was er gelesen und übersetzt hat, darunter allzu viele hübsch verpackte Albernheiten, käme es ihm unanständig vor, die Welt mit einer weiteren Eselei zu behelligen. Ihn lässt die Vorstellung kalt, eine flammende Prosa entspringe aus der simplen «Bewegung der Feder auf dem Blatt», er glaubt nicht an seine «Allmacht über den Satz», es kommt nicht in Frage, dass er «die Lider schließt, um mit offenen Augen zu sehen», oder dass er sich an diesem seelenlosen Ort «der Welt entzieht, um ihm seine eigene Verwirrung aufzuprägen», und im Übrigen hütet er sich vor Metaphern. Gewiss hat so der Trojanische Krieg angefangen. Und doch weiß er, dass es reichen würde, dass einer seiner Sätze intelligenter wäre als er selbst, damit dieses Wunder aus ihm einen Schriftsteller machte.

Victor beobachtet all diese verstreuten Existenzen, all diese Ängste, die in der überdimensionierten Petrischale schwappen, die dieser Hangar ist – wahrhaftig, was für ein komisches Wort –, ohne zu wissen, an welche Existenz er sich halten soll. Er überlässt sich der Faszination, die andere Leben als seins auf ihn ausüben. Gerne würde er eines auswählen, die richtigen Worte finden, um diese Kreatur zu erzählen, es so weit bringen, dass er glauben darf, ihr nahe genug gekommen zu sein und sie nicht zu verraten. Dann übergehen zur nächsten. Und zu noch einer anderen. Drei Personen, sieben,



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