Die alte Mühle by Lise Gast

Die alte Mühle by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-05T00:00:00+00:00


Sybille

Sybille saß an dem kleinen Tisch neben dem Eingang der alten Mühle, die Sonnenbrille auf der Nase, eifrig kritzelnd. Es war ein Brief an Pat, ihre jüngste Schwester. Mutter hatte sie gebeten, statt ihrer zu schreiben.

Corinna war zur Zeit ungeheuer tätig. Die Frühjahrsraserei der Hausfrau hatte sie erfaßt; was bei ihr sonst in gemäßigten Formen auftrat, kam dieses Jahr, nach dem langen und strengen Winter, als ungeahnter Schaffensdrang über sie. Alle Fenster des Hauses standen offen, es roch nach Bohnerwachs und Farbe und Lack, und laue Luft strich durch alle Räume. Corinna, einen Leinenkittel über der langen Hose, ein meist verrutschtes Kopftuch auf dem Haar, ging aus und ein, man hörte ihre Stimme bald dumpf aus dem Keller, bald vom höchsten Boden herunter, und immer klang sie hell und fröhlich, ja, übermütig. Sybille schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf. Sie schrieb.

„... und so wird unsere alte Mühle bald in neuem Glanz erscheinen, wie ein Phönix, der aus der Asche steigt. Mutter stülpt das Unterste zuoberst und strahlt dabei wie eine Sonne. Roland baut ein neues Waschbärengehege, ein doppeltes, mit einem Häuschen für Nikko und einem für Nikki. Ach ja, Roland, da sind wir beim Thema. Du wirst ja schon von ihm gehört haben.

Er ist uns zugelaufen, wie man von herrenlosen Katzen oder Hunden sagt, wurde schwer krank bei uns, was meiner Meinung nach vor allem psychisch bedingt war, und Mutter pflegte ihn gesund. Du weißt ja, wie gern sie pflegt, und wie besonders gut man es bei ihr hat, wenn man krank ist. Sie hat sich ja auch immer einen Sohn gewünscht, und ein bißchen ist er ihr während seiner Krankheit zu einem solchen geworden. Nun ist er längst gesund, bleibt aber noch immer, macht sich nützlich, spricht kaum, ohne etwa mufflig oder mißmutig zu wirken. Still ist er, in sich gekehrt, und wenn er an mir vorbeigeht, um den Hammer zu holen oder die Säge, so sieht er mich nicht, jedenfalls spricht er mich nie an. Mit Mutter ist er ganz vertraut, hab ich das Gefühl. Aber –

Ja, nun kommt das Aber, denn kein Mensch könnte etwas dabei finden, wenn jemand einen kranken Studenten gesund pflegt. Dieser junge Mann aber hat in unserer Kleinstadt einen schlechten Leumund. Er arbeitete an einer Tankstelle, beim Mayer am Markt, dort muß er einiges widerrechtlich an sich genommen haben. Darauf jagte ihn sein Chef davon. So wird erzählt. Was daran stimmt und was üble Nachrede ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist für uns, für Uli und mich, nicht leicht, die Sticheleien unserer lieben Mitschüler und -studenten anzuhören.

Uli haben sie damit den Tag ihres Abiturs versalzen, sie hielt sich großartig, aber ich hab es doch gemerkt. Und auch für mich vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht „wohlmeinend“ fragt, wann denn dieses dunkle Element endlich verschwinden würde. Ich stelle mich so taub wie möglich, aber es ist unerfreulich. Ich ahne nicht, ob Mutter etwas davon weiß. Soll ich sie fragen? Ich überlege mir das von früh bis abends und komme zu keinem Ergebnis.



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