Die Abenteuer des Jan Kuna, genannt Marten (Band 1-3) by Janusz Meissner
Autor:Janusz Meissner [Meissner, Janusz]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik
veröffentlicht: 2013-06-19T04:00:00+00:00
Der jüngste Bootsmann der »Zephir«, der Sohn Jan von Grabins, Stephan, spürte seit Tagen einen sonderbaren Zwiespalt in seinen Gedanken und Empfindungen. Schuld daran war vor allem Henryk Schultz, dem er die unerwartete günstige Wende in seinem jungen Leben verdankte und gegen den er dennoch eine instinktive Abneigung hatte.
Diese Antipathie war in ihm schon während der mehrwöchigen Reise von Danzig nach London erwacht. Schultz hatte viele Stunden für Gespräche mit Stephan geopfert. Entweder unterhielt er sich mit ihm in seiner Kajüte oder bei Spaziergängen auf dem Hinterdeck. Er gab ihm Ratschläge und Lehren für die Zukunft, bekräftigte sie durch eigene Erlebnisse oder Beispiele unrichtigen Verhaltens anderer, wobei man unter den anderen manchmal Marten vermuten konnte. Die Predigten, wie Stephan die Ergüsse im stillen nannte, hätten ihn vielleicht interessiert und auch überzeugt, wenn sie nicht dick mit salbungsvoll vorgetragenen moralischen Sentenzen gespickt gewesen wären und durch verhüllte Anspielungen das Ziel verfolgt hätten, den unerfahrenen Jüngling vor dem verderblichen Einfluß seines künftigen Kapitäns, des Wirrkopfes, Abenteurers und Ungläubigen Jan Marten, zu warnen. Schultz würdigte zwar die hervorragenden Fähigkeiten des Kapitäns der »Zephir« auf hoher See und in Gefechten, sprach ihm aber zugleich Mäßigung und Vernunft sowie alle die Tugenden ab, durch die man die Achtung ehrenwerter, anständiger Menschen und Gottes Segen erringt.
Trotz der Bemühungen seines Wohltäters wurde Stephan gegen Marten nicht voreingenommen, im Gegenteil. Der kühne, freigebige, geradezu verschwenderische Korsar wurde in seiner Phantasie zu einem Helden, während Schultz ihm immer trockener, dünkelhafter, anmaßender und berechnender vorkam. Schultz erinnerte ihn oft an die Pflicht, für all das, was er für seine Mutter, die Witwe eines »Rebellen«, und für ihn selbst tat, dankbar zu sein. Er machte kein Hehl daraus, daß er von ihm Hilfe bei dem Plan erwartete, sich in den Besitz der »Zephir« zu setzen.
Stephan hörte schweigend zu. Oft stieg ihm Schamröte ins Gesicht, da er sich nicht zu einer offenen Antwort aufraffen konnte. Manchmal glaubte er, daß er die Worte und Absichten dieses edlen, großmütigen Menschen, den er bis vor kurzem in Henryk Schultz gesehen hatte, falsch verstehe und unrichtig beurteile. Dann schalt er sich schlecht und nichtswürdig. Möglicherweise verdiente es Marten wirklich, verdammt zu werden, und nur er, Stephan, vermochte dies nicht zu begreifen, da er ihn ja nicht so gut kannte wie sein ehrenwerter, frommer Gönner, der jeden Sonntag zur Beichte und Kommunion ging und schon deshalb ein reines Gewissen und einen aufrechten Charakter haben mußte.
Stephan quälte sich mit seinen Gedanken und Zweifeln, verbarg sie aber vor Schultz. Er schien infolgedessen schweigsam und nicht besonders aufgeweckt zu sein. Schultz erblickte darin kein Hindernis für seine weitgesteckten Ziele. Es war ihm sogar lieber, wenn Stephan etwas beschränkt, als zu scharfsinnig und intelligent war. Es genügte, wenn er in Zukunft ein solches Schiff wie die »Zephir« zu führen verstand. Daran zweifelte Schultz nicht. Während der Reise stellte er fest, daß Stephan in der Seefahrt besser Bescheid wußte als so mancher Danziger Kapitän. Die Erkundigungen, die er vertraulich eingeholt hatte, bestätigten seine Meinung.
In ein oder zwei Jahren wird er sich unter Martens Leitung im Seemannsberuf vervollkommnet haben, überlegte Schultz.
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