Dickes Fell. Roman by Moritz Matthies

Dickes Fell. Roman by Moritz Matthies

Autor:Moritz Matthies [Matthies, Moritz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104031392
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-01-13T23:00:00+00:00


Kapitel 14

Gebannt lauschen wir in die Dunkelheit. Das Weinen wird zu einem leisen Schluchzen. Kaum hörbar schält sich aus dem Wehklagen ein einzelnes Wort heraus. Es klingt ebenso verzweifelt wie hoffnungslos: »Mami …«

Kong prescht davon und nimmt geradewegs Kurs auf die Hundemeute, weil genau das die Richtung ist, aus der die Geräusche kommen. Panisch jagt Bullets Lumpenbande auseinander, um nicht vom Gorillaboss überrannt zu werden. Ein Rottweiler mit fleckigem Fell ist nicht schnell genug. Er jault auf, als Kong ihn zur Seite kickt.

Rufus und ich klammern uns an die Tragegurte des Rucksacks. Ich bin sicher, wir denken das Gleiche: Möge dieses Kind Lea sein. Und möge es nicht eher aufhören zu weinen und zu winseln, bis wir es gefunden haben. Der keuchende Atem des mit uns durch den Wald preschenden Kong mischt sich mit dem näher kommenden Schluchzen des Kindes.

Doch plötzlich verstummt das Geräusch. Stille.

Kong macht eine Vollbremsung. Rufus und ich klammern uns verzweifelt an die Rucksackgute, um nicht in die Dunkelheit katapultiert zu werden.

Kong richtet sich auf, reckt das Kinn vor und lauscht angespannt.

Wieder ein einzelnes, zaghaftes Schluchzen. Dann erneute Stille.

Kong scheint zu überlegen.

»Ungefähr zweihundert Meter nordwestlich von hier ist ein Spielplatz, wenn ich das richtig in Erinnerung habe«, sagt Rufus. »Falls ich ein Kind wäre, würde ich mich bestimmt dort verstecken. Zumal ich tagsüber unter all den anderen Kindern niemandem auffallen würde.«

Kong reagiert nicht.

Schließlich brummt er: »Wo genau, sagst du, ist dieser Spielplatz?«

»Wo genau weiß ich nicht. Irgendwo da hinten. Wenn ich mein iPad hätte mitnehmen dürfen, könnte ich es dir jetzt ganz genau sagen«, antwortet Rufus in leicht vorwurfsvollem Tonfall. »Aber leider war es ja verboten …«

Kong räuspert sich ungehalten, und augenblicklich verstummt Rufus.

Wortlos wendet der Gorilla sich nach Nordwesten, wo kurze Zeit später tatsächlich eine Lichtung auftaucht, bebaut mit ein paar Spielgeräten, zwei Bänken und einer Getränkebude. Bei Sonnenschein ist es hier bestimmt nett, im fahlen Licht der Sterne wirkt der Ort jedoch gespenstisch und trostlos.

Ein großes hölzernes Spielschiff, eine Schaukel, eine Wippe und ein Klettergerüst sind im Halbdunkel zu erkennen.

»Ihr sucht den Platz ab. Ich kümmere mich um die Grünanlagen. Einverstanden?«, fragt Kong.

»Ist gebongt«, sage ich und lasse mich zusammen mit Rufus Kongs Buckel herunterrutschen. Wir landen im weichen Sand neben der Schaukel.

Während der Gorillaboss sich in die Büsche schlägt, nehmen Rufus und ich uns zunächst die Getränkebude vor. Vorsichtig umrunden wir das Gebäude. Von Lea keine Spur. Der Holzkasten ist nicht nur fest verrammelt, sondern obendrein auch noch alarmgesichert, wie mein kluger Bruder einem entsprechenden Aufkleber an der Tür entnehmen kann.

Unser zweiter Tipp wäre das Spielschiff. In dessen Bauch sind bestimmt viele Ecken und Winkel verborgen, in denen sich tagsüber Kinder zum Spaß verstecken. Für ein Kind in Not wären sie wohl als Unterschlupf ebenso tauglich.

Rufus und ich beschließen, uns zu trennen. Ich nehme mir die vordere Hälfte vor, Rufus das Heck.

Je weiter ich mich zur Spitze des Schiffes vorarbeite, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich nicht allein bin. Und dann wird mir der Grund dafür klar. Wenn ich mich ganz still verhalte und genau konzentriere, dann höre ich jemanden leise atmen.



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