Deutschland, eine Reise by Büscher Wolfgang

Deutschland, eine Reise by Büscher Wolfgang

Autor:Büscher, Wolfgang [Büscher, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Fantastische Literatur
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-05-04T16:00:00+00:00


Bayerisch-Sibirien

Merkwürdigerweise wurden die Dinge heiler, je weiter ich nach Süden kam. Und es war nicht der reiche Süden um München herum. Die Gegend an der böhmischen Grenze war arm. Immer schon, immer noch. Aber sie war auch reich. Hier war ein Dorf ein Dorf, und eine kleine Stadt war eine kleine Stadt, kein Ex-Dorf und kein Altstadtzitat. Ein Wirtshaus war ein Wirtshaus und kein uriges Romantiklokal fürs weekend. Und eine alte Grenzspelunke blieb eine Spelunke.

Die, die ich jetzt betrat, sah auf den ersten Blick so aus. Das Regal hinter der Theke, wo gewöhnlich die Schnäpse stehen, war leer, als ob es nicht darum ginge, Gäste zu bewirten, und alles nur eine nachlässig aufrechterhaltene Kulisse sei. Oder der Wirt war lange fort gewesen und erst seit kurzem wieder da. Das schien mir plausibler zu sein, denn genau diesen Eindruck machte die Gaststube. Überhaupt nicht auf Gäste eingestellt, ausgekühlt, seit langem nicht mehr in Gebrauch.

Der Wirt selbst, wie er an einem der leeren Tische saß, vor sich einen Teller Bratkartoffeln, wirkte fremd im eigenen Haus. Ein kräftiger, schnaufender Kerl, die Bratkartoffeln aß er mit den Fingern. Immerhin grüßte er, dabei war es ihm sichtlich unlieb, dass ein Gast ihn störte.

Der Jüngere, der neben ihm hockte wie ein Knecht, grüßte nicht. Ihm war der Besuch noch unangenehmer als seinem Herrn, er hatte etwas Verschlagenes im Gesicht und die geduckte Haltung des Fuchses, der zu den Hühnern schleicht. Er sah kein einziges Mal hoch und verschwand bei erster Gelegenheit. Aber es war gefeiert worden in diesem ungastlichen Gasthaus, auf einem Tisch lagen drei Ziehharmonikas und eine Tuba.

Der Wirt begann ein Gespräch, das sich nach wenigen Sätzen in eine Ausfragerei verwandelte. Wo kommst du her? Wer hat dich nach Georgenberg gefahren? Ach der, aha. Wo hast du übernachtet in Neustadt, beim Schorsch, wie? Er grinste. Der ist billig, der Schorsch. Was, nicht beim Schorsch!? Und was hast du bezahlt fürs Zimmer? So, so, schau an. Dann wollte er wissen, ob ich dort, wo ich gerade herkam, in einem Gasthaus gewesen sei. Ich verneinte, und er nickte, wie mir schien beruhigt.

Ich fragte ihn nach der Grenze.

«Früher ein elektrischer Zaun, wenn du da drankamst, warst du tot.»

«Und Schmuggel?»

«Kein Schmuggel.»

Er sagte es mit einem Ausdruck sachverständigen Bedauerns.

Gleich hinter seinem Gasthaus ging ich über die unbewachte Grenze, bog rechts ab und lief parallel zu ihr bis in den Abend hinein. Nach einer Weile stieß ich im Wald auf Mauerreste, dann sah ich, wie jung hier die Bäume waren. Ich begriff, dass ich auf den Grundmauern der geschleiften Häuser eines verschwundenen Dorfes stand. Ein Kriegerdenkmal im Wald, die dörfliche Junggesellenvereinigung hatte es nach dem Ersten Weltkrieg gestiftet, verriet seinen Namen: Neulosimthal.

An einem Baum hing ein vogelhäuschengroßer Briefkasten, eine Plastikblumengirlande war darumgewickelt, drinnen lag ein handgeschriebener Zettel: Der Posterer Hans und die Posterer Resi waren da gewesen und grüßten wen auch immer, der diesen Gruß fand. Nach längerem Weg durch den Wald, der sich hier und da lichtete, ging es ein wenig bergan, und oben stand ein Stein, in den war eine kleine Metallplatte eingelassen.



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