Deutsche in Venedig â Von den Kaisern des Mittelalters bis Thomas Mann by Bergdolt Klaus
Autor:Bergdolt, Klaus
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Geschichte
Herausgeber: Primus Verlag
Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens, Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht. Jeder sorgt nur für sich, misstrauet dem andern, ist eitel. Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.45
Der âMythos Italienâ, dem Goethe seit 1786/87 auf der Spur war, verblasste. Kritik, Pessimismus sowie anti-italienische und anti-katholische Ausfälle dominierten. Besonders der päpstliche Gesandte stand im Kreuzfeuer. âNuncius, Evangelist, Lügner, Betrüger sind einsâ, heiÃt es an einer Stelle, wo dem Geistlichen bloÃe Schauspielerei unterstellt wird. âSiehst du neben dem Dogen den Nuntius feierlich gehen? Sie begraben den Herrn. Einer versiegelt den Stein. Was der Doge sich denkt. Ich weià es nicht. Aber der andere lächelt über den Ernst dieses Gepränges gewiss.â Der Italientraum verdüstert sich. Das Land im Süden gleicht nun einem âzerstreuten Gebeinâ, das wir wie dumme Pilger âgläubig und frohâ verehren. Dass Goethe von der venezianischen Gesellschaft während des zweiten Besuchs kaum wahrgenommen wurde und in der Stadt keine Freunde fand, verbesserte seine Stimmung nicht. RegelmäÃige Kontakte gab es allein zum Bankier Zucchi, dem Schwager Angelika Kauffmanns, der sich âin langatmigen (â¦) Ausführungen über die alte republikanische Verfassung der Stadt ergingâ, die der Dichter ablehnte. Er versuchte die Krise zu überwinden, indem er âgesehen, gelesen, gedacht, gedichtet wie sonst nicht in einem Jahrâ. Die âFrüchte, die in einer groÃen Stadt gedeihenâ, pflückte er gekonnt. Witzige Bemerkungen und satirische Einsprengsel karikieren das âWassernestâ, wie er Venedig nun despektierlich nannte. Das Bild der Stadt war, so seine grimmige Einsicht, ein schlechter Ersatz für die Antike, für den Piräus etwa, wo einst, wie er glaubte, die Löwen gestanden hatten, die jetzt das Arsenal-Tor schmückten. Sie dürften, wie er vermutete, selbst am meisten unter ihrem neuen Standort leiden â¦
Zunehmend dachte er an Christiane und August: âIch gestehe gern, dass ich das Mädchen leidenschaftlich liebe. Wie sehr ich an sie geknüpft bin, habe ich erst auf dieser Reise gefühlt.â Da er nicht weiter nach Süden fuhr, ging es nur darum, Venedig durchzustehen (spontan abzureisen hätte einen Affront gegenüber der herzoglichen Familie bedeutet!). Die Begeisterung für Italien verwandelte sich in reine Abneigung:
Glänzen sah ich das Meer und blinken die liebliche Welle,
frisch mit günstigem Wind zogen die Segel dahin.
Keine Sehnsucht fühlte mein Herz. Es wendete rückwärts
nach dem Schnee des Gebirgs bald sich der schmachtende Blick.
Südwärts liegen der Schätze wie viel! Doch einer im Norden
zieht, ein groÃer Magnet, unwiderstehlich zurück!46
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