Deutsch sein und schwarz dazu by Theodor Michael

Deutsch sein und schwarz dazu by Theodor Michael

Autor:Theodor Michael [Michael, Theodor]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2013-05-26T22:00:00+00:00


Displaced Person

Das Lager Kassel-Oberzwehren stand unter der Verwaltung der US Armee. Jeder, der dort hinkam, wurde erst einmal »gescreent«. Man musste einen mehrsprachigen Fragebogen ausfüllen und jede Frage beantworten. Neben den Angaben über die Person wurde nach Anschriften in den letzten Jahren, nach Tätigkeiten und Mitgliedschaften gefragt. Auf diese Weise sollten vor allem Kollaborateure der Nazis gefasst werden. Mich schreckte dieses Papier nicht. Jeder, der mich ansah, so dachte ich, konnte zwei und zwei zusammenzählen und erkennen, dass ich mit meinem Aussehen weder Nazi noch Kollaborateur gewesen sein konnte.

An dem Tisch, vor dem ich stand, saßen ein junger amerikanischer Leutnant, der das Gesicht verzog, als er mich sah, und ein polnischer Übersetzer mit guten Deutschkenntnissen. Neben den allgemeinen Fragen auf dem Fragebogen sollte ich Auskunft darüber geben, was ich in der Nazizeit gemacht habe. Ich war verblüfft, hatte ich doch lückenlos meine Tätigkeiten seit der Schulentlassung angegeben. Darauf verwies ich. Man könne ja lesen, war die barsche Antwort, aber man wolle wissen, was ich wirklich gemacht habe, denn ich sei ja noch am Leben. »Nichts«, war meine Antwort. Das reichte aber meinen Inquisitoren nicht. Ich müsse aber doch irgendetwas gemacht haben, sonst wäre ich nicht davongekommen. Und wieder steckte ich in einer Zwickmühle. Sie war etwas anders als die, denen ich bereits entkommen war. Offensichtlich war es nun so, dass man mir dieses Entkommen zum Vorwurf machte. Ich hatte ja als Identifikationspapier immer noch meinen deutschen Fremdenpass, mit dem Hoheitszeichen auf dem Deckblatt, in dem als Geburtsort Berlin angegeben ist. Also sei ich ein Deutscher und die Kriterien eines DP (Displaced Person) träfen deshalb auf mich nicht zu. Mit der Staatsangehörigkeitsangabe »staatenlos« konnten weder der amerikanische Offizier noch der polnische Übersetzer etwas anfangen.

Man gab mir meine Papiere zurück und sagte mir, ich solle meine Sachen packen und sofort aus dem Lager verschwinden. Ein DP-Hilfspolizist, ebenfalls ein Pole, wurde gerufen. Er sollte diesen Vorgang überwachen und mich zum Tor bringen. Das Erste, was er tat, als wir den Raum verlassen hatten, war, mir eine schallende Ohrfeige zu geben. Ich weiß bis heute nicht, warum. Ich reagierte auch gar nicht darauf, so schockiert war ich. Ich nahm es hin wie alles andere in meinem bisherigen Leben und nehme zu seinen Gunsten an, er wollte sich irgendwie und an irgendwem für ein früheres Unrecht rächen.

Ich holte meinen Kartoffelsack mit dem wenigen, das ich besaß, und tat, wie mir befohlen. Aber wo sollte ich hin? Unwillkürlich wandte ich mich dahin, wo sich viele Menschen aufhielten, zum Hauptbahnhof der völlig zerstörten Stadt Kassel. Dort traf ich ein paar schwarze Amerikaner, die trotz des »Fraternisierungsverbots« der US Army die Bekanntschaft von deutschen »Fräuleins« suchten, und kam mit ihnen ins Gespräch. Gespräch ist eigentlich zu viel gesagt, denn ich sprach keine drei Worte Englisch und sie natürlich kein Deutsch. Dennoch verstanden wir uns sofort. Es waren junge Männer in meinem Alter. Die merkten sofort, dass ich Hunger hatte, und so bekam ich gleich ein paar K-Rations, die in handliche kleine Päckchen verpackte Trockenration der US Army, in die Hand gedrückt.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.