Der tibetische Agent by Eliot Pattison

Der tibetische Agent by Eliot Pattison

Autor:Eliot Pattison
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783841205537
Herausgeber: Aufbau Digital - Aufbau Verlag, Berlin
veröffentlicht: 2013-04-09T22:00:00+00:00


KAPITEL ELF

Ani Ama weigerte sich, an Shans Plan mitzuwirken. Sie hob eine Hand und unterbrach ihn. »Mein Platz ist hier«, sagte die Nonne. »Da sind zunächst mal die Kranken. Und nun werden auch noch Verwundete gebracht, von irgendeinem Aufruhr.« Es war mitten in der Nacht. Shan saß neben einer Toten, die von zwei anderen Frauen in ein Leinentuch gewickelt wurde.

»Was ist, wenn du draußen mehr für sie tun könntest?«, fragte Shan. »Wenn es eine Möglichkeit gäbe, der Welt zu zeigen, was hier vorgeht? Sobald es auch nur das geringste Anzeichen für einen Besuch internationaler Repräsentanten gäbe, würde man hier für richtige medizinische Betreuung und besseres Essen sorgen, das weißt du.«

»Nein«, beharrte sie. »Tu nicht so, als hätte ich solche Macht.«

»Die amerikanische und die deutsche Regierung haben solche Macht. Und sie werden diese Macht demonstrieren, wenn Cora mit Geschichten über das Lager heimkehrt – und der Geschichte eines ermordeten Deutschen und einer ermordeten Äbtissin.«

Die alte Nonne stand auf, legte der Toten eine Hand auf die Stirn und murmelte einen Segen, bevor man der Leiche das Tuch über den Kopf zog. »Das hat nichts mit mir zu tun«, sagte sie zu Shan.

»Die Äbtissin ruft nach Cora«, sagte Shan zu ihrem Rücken. »Es gibt für die Äbtissin nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen, wo sie zu sein verdient.«

Ani Ama blieb stehen. »Glaubst du nicht, dass ich jede Nacht dafür bete?«

»Einer der jungen Mönche aus Chegar hat gesagt, er hört sie stöhnen, hört es im Dunkeln zwischen den Hügeln widerhallen. Die Äbtissin wandert verloren umher und kann nicht verstehen, was ihr und den anderen zugestoßen ist.« Die Nonne drehte sich langsam zu ihm um. Shan sprach weiter. »Ein furchtbarer Schatten fällt auf all jene, die im Tal Gewänder tragen. Hilf mir, die Wahrheit zu ergründen. Die Amerikanerin war da, bei dem Kloster. Geh mit uns von hier weg, und wir werden den Mörder gemeinsam finden.«

»Die Wahrheit über die Morde ist bei denen, die gestorben sind.«

»Falls wir wissen, wie wir lauschen müssen, können wir sie immer noch hören. Du kennst bereits einen Teil davon.«

»Unsinn. Ich war nicht dort.«

»Auch Jamyang ist an jenem Tag gestorben. Das war kein Zufall. Du bist mit der Äbtissin bei dem Leichnam von Lungs Sohn gewesen. Jamyang auch. Was ist passiert? Weshalb hat er sich vor dem Toten gefürchtet?«

»Ich glaube nicht, dass es der Tod war, der ihn geängstigt hat.«

»Dann sag es mir, Ani Ama. Warum ist er an dem Tag weggelaufen?«

Ani Ama seufzte und blickte hinaus auf das Lager. »Ich wollte nicht Äbtissin werden. Ich wollte meine letzten Lebensjahre in Ruhe an einem Webstuhl verbringen. Meine Mutter war eine Weberin und ihre Mutter auch.« Sie schaute der Leiche hinterher, als sie weggetragen wurde. »Als Lung Tso kam, um die Äbtissin um Hilfe zu bitten, war Jamyang gerade bei ihr«, erklärte sie dann. »Er stellte Lung Tso Fragen und war ganz bestürzt, dass ein so junger Mensch sterben musste. Und er nahm die Einladung der Äbtissin an, sie zu begleiten. Der Lama kannte sich nämlich mit den alten Bräuchen aus und wusste, wie man die Gottheiten empfängt.



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