Der schwarze Tod by Hohlbein Wolfgang

Der schwarze Tod by Hohlbein Wolfgang

Autor:Hohlbein, Wolfgang [Hohlbein, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783802583957
Herausgeber: LYX
veröffentlicht: 2010-10-07T22:00:00+00:00


Kapitel16

D

er Raum ähnelte in mancher Beziehung der finsteren Zelle, in der er Marius vorgefunden hatte, und war nur eine Winzigkeit größer. Zwar gab es hier ein Fenster, doch das war kaum breiter als eine Hand und ließ nur einen blassgrauen Streifen Licht herein, das die Tristesse des Raumes nur noch betonte, statt ihm Lebendigkeit zu verleihen. Es war kalt, was nicht nur an den niedrigen Temperaturen draußen lag, sondern vor allem an der Feuchtigkeit innerhalb der Wände und an dem erlittenen Grauen der früheren Insassen, das noch immer wie ein schlechter Geruch in der Luft hing. Das Stroh auf dem Boden war trocken und offensichtlich erst kurz vor seiner Ankunft ausgebracht worden, und dasselbe galt für die zerschlissenen Decken auf dem gemauerten Sims, der als Bett diente. Aber alles andere hier war feucht, als wäre Nässe über so viele Jahre in die gemauerten Wände und den Boden eingedrungen, dass sie zu einem festen Bestandteil des Steins geworden war.

Der Zellentrakt befand sich auf einem Niveau, das die Bewohner dieser Stadt mit dem ihnen eigenen Optimismus wahrscheinlich ebenerdig nannten – was nichts anderes hieß, als dass er bei jedem der mehr oder weniger regelmäßigen Hochwasser, die Venedig heimsuchten, geflutet wurde. Wenn Andrej die dunklen Linien an den Wänden richtig deutete, reichte es vermutlich bei jedem zweiten oder dritten Mal bis zur Höhe des gemauerten Bettes hinauf. Immerhin würden ihn hier nicht die Schreie lang Verstorbener quälen, denn in diesen Zellen würde wohl kaum jemand lange genug bleiben, um sein Leben zu beenden – was nicht bedeutete, dass der Ort dazu gedacht war, seinen Bewohnern auch nur das mindeste Wohlbehagen zu bereiten. Wenn er genau hinhörte, konnte Andrej das Stöhnen und Wehklagen anderer Gefangener vernehmen, die in den benachbarten Zellen saßen. Alles hier erinnerte tatsächlich ein wenig an Scalsis Narrenturm, nur dass dieses Gebäude ganz gewiss nicht dazu diente, um Menschen zu helfen.

Zum wiederholten Male sah Andrej zu dem schmalen Fenster unter der Decke hoch und versuchte, die Tageszeit einzuschätzen. Die feuchte und leere Zelle, die bedrückende Erinnerung an Marius, die ihm bis in diesen vergitterten Raum gefolgt war, und die beklemmenden Szenen aus seinen Albträumen, die an seinem Verstand wie mit scharfen Rattenzähnen nagten, hatten seinen ansonsten so präzisen Zeitsinn durcheinandergebracht.

Seit er hereingebracht worden war, hatte der Streifen aus grauem Licht seinen Winkel verändert, was ihn zumindest vermuten ließ, dass er schon seit Stunden hier war.

Abu Dun und er waren wortlos übereingekommen, sich widerstandslos festnehmen zu lassen – denn um nichts anderes hatte es sich bei Rezzoris Einladung gehandelt –, bis sie herausgefunden hätten, was man ihnen vorwarf. Doch nun war er nicht mehr sicher, ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war. Dies war nicht das erste Gefängnis, in dem er saß, und jeder Versuch, ihn durch Isolation, Kälte oder Hunger zu brechen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber er machte sich Sorgen um Abu Dun. Gereizt und zornig, wie der Nubier seit Tagen war, mochte er vielleicht zu dem Schluss kommen, dass es an der Zeit war zu gehen, und Andrej graute vor dem, was dann geschehen mochte.



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