Der süße Wahn by Highsmith Patricia

Der süße Wahn by Highsmith Patricia

Autor:Highsmith, Patricia [Highsmith, Patricia]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257603965
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-11T16:00:00+00:00


[235] 20

Auch wenn vielleicht der Verdacht bestand, er habe ein Mädchen in New York, gelang es Effie Brennan, Mrs. McCartney binnen vierundzwanzig Stunden davon zu überzeugen, daß Davids heimliche Liebe weit droben in Neuengland wohne. Ja, Effie meinte sogar, sie gehe in Maine aufs College und David sei »so verliebt in sie, daß er für keine andere mehr Augen hat«. Zeugin Miss Brennan persönlich, dachte David, Miss Brennan, die, obwohl attraktiv und willfährig, David Kelsey nicht einmal eine Kinoeinladung wert ist. Effie rief erneut an, wiederholte ihm, was sie Mrs. McCartney erzählt hatte, und wollte wissen, ob es so gut gewesen sei. Offenbar hatte Mrs. McCartney versucht, sie auszuhorchen, und gefragt, ob Effie wisse, was David an den Wochenenden in New York unternehme.

»Doch, doch, das hast du sehr gut gemacht«, sagte David, und zum erstenmal war er Effie wirklich dankbar, dankbar dafür, daß sie Annabelle den Leuten in der Pension nicht preisgegeben hatte.

Worunter David am meisten litt, ja was ihn richtiggehend quälte, war, daß Mrs. Beecham jetzt wußte, daß er keine Mutter mehr hatte und daß niemand die ihr zugedachten Bettjäckchen, die Topfpflanzen, gehäkelten Spitzendeckchen und das Briefpapier vorletzte Weihnachten [236] bekommen hatte. David, der seit seinem vierzehnten Lebensjahr nur noch selten weinte, hatte Tränen in den Augen, als er sie um Verzeihung bat und es ihr zu erklären versuchte. Daß er dabei auch noch vor ihr auf die Knie sank, machte ihn in seinen Augen vollends lächerlich, doch Mrs. Beecham war die einzige in der Pension, an der ihm etwas lag, und das hatte er ihr zeigen wollen. Sie sagte kaum etwas, sah ihn nur ratlos und enttäuscht an. Andererseits, dachte David belustigt, andererseits hatte seine nicht existente Mutter Mrs. Beecham auch allerhand hübsche Geschenke gemacht.

Das Gerücht von einem Mädchen hatte die Einstellung der Hausbewohner zu ihm auffallend verändert. David wußte, was sie dachten: Nicht, daß er etwas besonders Schlimmes oder Unrechtes getan hätte, nur daß er ein genauso schwacher Mensch sei wie alle anderen auch, ein Mann, der eine Frau liebte, die er aus irgendeinem Grund bislang nicht heiraten konnte und die er offenbar nicht einmal besonders häufig sah, kurz gesagt, ein ganz gewöhnlicher Mensch und kein geschlechtsloser Heiliger. Jetzt flackerten die Blicke der anderen, wenn sie ihn ansahen. Sie benahmen sich wie Kinder, denen man ihren Märchenglauben geraubt hat.

Am Samstag morgen brachte die Zehnuhrpost einen Brief von Annabelle. David hoffte schon, sie hätte es sich anders überlegt und wollte doch mit ihm auf Haussuche gehen, aber davon stand überhaupt nichts in dem Brief. Er las ihn im Stehen, unten in der Diele, und obwohl er ganz allein war, überkam ihn dabei eine Scham, als ob man ihn in aller Öffentlichkeit geohrfeigt hätte. Er stopfte das [237] Kuvert in die Tasche und lief hinaus zu seinem Wagen. David hatte sich auf der Karte eine bestimmte Route herausgesucht und konzentrierte sich die ersten paar Minuten der Fahrt auf die Streckenführung. Dann, auf der eintönigen Schnellstraße in Richtung Norden, war auch der Brief wieder da und setzte ihm zu. Annabelle



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