Der Passagier der Polarlys by Simenon Georges

Der Passagier der Polarlys by Simenon Georges

Autor:Simenon, Georges [Simenon, Georges]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Der Tag der Brieftaschen

Der nächste Tag war ein Mittwoch. Er begann mit einem zweistündigen Aufenthalt in Trondheim und verlief so völlig ohne Zwischenfälle, daß es schon unnatürlich war.

Petersen hatte seit der Abfahrt aus Hamburg zuwenig geschlafen und fühlte sich, wohl auch infolge des Champagners, körperlich wie seelisch ausgehöhlt.

Als der Steward ihm auf der Brücke meldete, Katia Storm sei krank und wolle ihre Kabine nicht verlassen, zuckte er nur die Achseln und sog ein paarmal heftig an seiner Pfeife.

Vriens war den ganzen Morgen über nicht zu sehen. Das Deck lag wie ausgestorben da; Sturm war aufgekommen und peitschte feinen, sandartigen Schnee vor sich her, der in alle Poren zu dringen schien.

Sie näherten sich dem Polarkreis. An den Hängen wurde immer seltener ein Haus sichtbar. Die Polarlys lief an diesem Mittwoch dreimal ganz kleine Flecken von etwa einem Dutzend Häusern an, wo Männer mit Pelzmützen die Kisten und Fässer auf Schlitten luden. Im dritten Hafen war die Schneedecke an die sechzig Zentimeter hoch, und die Kinder liefen Ski oder Schlittschuh.

Der Himmel war grau. Das Meer war grau. Das Licht schien von dem grellen Weiß der Gebirgskette herzurühren, deren Biegungen das Schiff folgte.

Zum Mittagessen fanden sich nur der Kapitän, Evjen und Schuttringer ein. Evjen gab der Form halber zwei oder drei Sätze von sich, dann fiel die Konversation in sich zusammen.

Beim Hinausgehen drückte der Kapitän Jennings die Hand, dem zurückhaltenden Polizeibeamten, der sich so wenig wie möglich sehen ließ. »Wenn’s so weitergeht«, meinte Jennings optimistisch, »passiert gar nichts, und die Reise verläuft ganz glatt... Ich bin überzeugt, der Mörder treibt sich ein paar Faden tief im Hafenbecken von Stavanger herum.«

Der Kapitän ließ ihm seine Illusionen.

»Wie geht’s ihr?« fragte Petersen die Stewardeß, die mit einem Tablett voller Geschirr aus Katias Kabine kam.

»Sie liegt nur so da, mit dem Kopf zur Wand... Sie hat fast nichts gegessen und sagt kein Wort.«

Gegen drei stieg er auf die Brücke, nachdem er etwa eine Stunde vor sich hingedöst hatte. Vriens war auf Wache. Er schlug die Hacken zusammen, während der Kapitän nur grüßend die Hand hob und sich dann an den Lotsen wandte, mit dem er die Fahrt schon über hundert Mal gemacht hatte.

»Glauben Sie, wir müssen die Luken dicht machen?«

Sie waren bisher im Schutz einer fast geschlossenen Inselkette gefahren. Bei den Lofoten würde sich das wiederholen, aber gegen Abend waren sie dann wirklich auf dem offenen Meer und hatten zweifellos mit schwerer See zu rechnen.

»Wäre nicht schlecht«, stimmte der pelzverpackte Koloß zu, der in seinen riesigen holzbesohlten Stiefeln wie einzementiert dastand.

Vriens hielt sich wie üblich seitlich an der Brückennock auf, während der Lotse in der Mitte stand und dem Zweiten Steuermann mit der im dicken Rentierfäustling steckenden Hand ab und zu die Richtung wies.

Der Kapitän verglich die beiden Gestalten einen Augenblick lang und zuckte wieder die Achseln. Er brachte es nicht über sich, den jungen Mann anzusprechen; er merkte, daß der kaum zu ihm hinüberzublicken wagte.

Und doch ergriff Vriens die Initiative. Er trat plötzlich auf Petersen zu und murmelte: »Ich wollte Ihnen sagen, Kapitän...« Er stockte.

Petersen schaute ihn abwartend über die Schulter an.



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