Der letzte Granatapfel by Bachtyar Ali

Der letzte Granatapfel by Bachtyar Ali

Autor:Bachtyar Ali [Ali, Bachtyar]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Bakhtiyar Ali, Bakhtyar Ali, Bürgerkrieg, Diktatur, Flüchtlinge, Freiheitskampf, Irak, Kindheit, Krieg, Kurden, Migration, Mittelmeer, Mystik, Revolution, Sufismus
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


15

Schon lange hatte niemand mehr etwas vom zweiten Saryasi gehört. Zuletzt hatte ihn Adam Mardschan in einer Gruppe Peschmergas gesehen, als er mit einem alten Maschinengewehr vor dem Haus eines der Anführer Wache hielt und lachte. Das musste während des dritten Bürgerkrieges gewesen sein. Damals war es normal, dass es vor den Häusern der hohen Militärs aussah wie an der Front. Die Streitkräfte trieben sich rund um die Villen der Politiker, um Hotels und Bars und sogar um die Häuser der Prostituierten herum, statt auf Militärstützpunkten oder in Ausbildungslagern zu trainieren. Das heißt, die Peschmerga waren immer dort, wo ihre Kommandanten sich aufhielten.

Adam Mardschan wusste nichts über die Stellung des zweiten Saryasi, trotzdem hatte er gleich begonnen, ihn nach kommunistischer Art zu agitieren. »Ich sagte zu ihm: Zieh nicht in diesen Krieg. Dieser Krieg findet innerhalb der Bourgeoisie statt, um uns das Brot zu rauben. In dieser Auseinandersetzung muss die Arbeiterklasse ihren eigenen Standpunkt einnehmen.«

Der zweite Saryasi lachte nur. »Mir ist jeder Krieg recht, aber im Moment gibt es nur diesen. Wenn du von einem anderen hörst, sag mir Bescheid, ich werde auch in diesen ziehen.«

Adam Mardschan verabschiedete sich enttäuscht von ihm: »Mein Freund, ich hoffe, du wirst nicht getötet.«

Der zweite Saryasi spottete: »Hoffentlich werde ich getötet. Ich hoffe, ich werde getötet.«

Das war der allerletzte Satz, den einer seiner Freunde vom zweiten Saryasi hörte.

Eines Tages setzten mich die weißen Schwestern in einen gemieteten Wagen und brachten mich in die Stadt. Wir trafen Zhinoy Makhmali und Adam Mardschan, aber auch sie wussten nicht, wo der zweite Saryasi sich aufhielt.

Dann kam Ikrami Keu wieder zu mir. Er fühlte sich nicht wohl bei der Vorstellung, dass ich so unbedacht und mit so langen Haaren und Bart hinausgegangen war. Aber wie immer war er beherrscht und voller Toleranz. Auch er wusste nichts über den zweiten Saryasi.

Groß und gelassen ging er im Zimmer auf und ab und versprach: »Ich werde tun, was ich kann. Ich werde alle Orte, die infrage kommen, aufsuchen. Ich werde alle Dokumente der Stützpunkte durchstöbern, bis ich etwas erreicht habe.« Er empfand eine unendliche Genugtuung darin, etwas dazu beizutragen, dass ich wieder ans Leben glaubte.

Als er zurückkehrte, legte er seine Hand auf meine Schulter und sagte: »Der zweite Saryasi ist nicht mehr in dieser Stadt. Seit über acht Monaten wird er vom Feind gefangen gehalten.«

In diesem Zusammenhang hatte ich das Wort »Feind« noch nie gehört. Erst jetzt begriff ich: Mit diesem Wort bezeichneten sich unsere Parteien und deren Streitkräfte, die sich bekriegten, gegenseitig. So gewaltig und beängstigend war dieser Bruderkrieg also geworden.

Ikrami Keu zuckte die Achseln. »Muzafari Subhdam, verzeih, aber es gibt einen Haufen Verwicklungen, über die ich nichts sagen kann. Aber soweit ich weiß, kann dieser junge Mann auch nicht auf unsere Seite zurückkommen, weil ihm große Vergehen angehängt werden.«

All dies war für mich unwichtig. Wichtig war nur, dass ich einen Sohn hatte, der an einem unbekannten Ort gefangen war, und ich ihn finden musste.

Ohne den Schmerz über den Tod des ersten Saryasi und die angefangene Geschichte des zweiten Saryasi wäre die Zeit bei den Schwestern die schönste meines Lebens gewesen.



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