Der leere Platz von Ssolutsch by Mahmud Doulatabadi

Der leere Platz von Ssolutsch by Mahmud Doulatabadi

Autor:Mahmud Doulatabadi [Doulatabadi, Mahmud]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Arabien, Asien, Iran, Mahmoud Dowlatabadi, Mahmud Dowlatabadi, Persien
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-11-16T16:00:00+00:00


3

Abbass trat mit einem ganz neuartigen Gefühl aus Sabih-ollahs Haustür: Zufriedenheit, gemischt mit Unruhe. Die Müdigkeit des Tages war von ihm gewichen. Oder hatte sich in seinem Körper verloren. In der Faust drückte er die Geldscheine, die er von Agha Maleks Schwiegersohn erhalten hatte, und wusste nicht recht, was er damit anfangen sollte. Er wollte nicht, dass sie gesehen würden. Nie wollte er, dass sein Geld gesehen würde. Keine seiner Angelegenheiten durfte bekannt werden. Immer hielt er etwas versteckt, immer wollte er etwas verbergen. Auch seinen Verlust im Spiel. Oder seinen Gewinn im Spiel; und wenn nicht den ganzen Gewinn, dann doch wenigstens ein paar Gran. Dieses Gefühl der Unsicherheit und des Misstrauens anderen gegenüber war so tief in ihm verwurzelt, dass er gelegentlich sogar Handlungen abstritt, die allen bekannt waren. Meistens kamen seine Lügen an den Tag; aber es war ihm gleich, wenn die anderen seine Flunkereien durchschauten, ihn ein Lügenmaul nannten. Wichtig war für ihn, dass sie nicht erfuhren, was er trieb. Und wenn wir die Angelegenheit näher untersuchen, wird sie so einfach wie dies: Abbass wollte nicht, dass jemand herausfände, was er mit seinem eigenen bisschen Geld anfing und wohin er es tat. Dies war nicht allein seine, sondern mehr oder weniger die Einstellung aller seinesgleichen.

Das Problem, vor dem Abbass jetzt stand, war, wie er den Streit mit seiner Mutter beenden sollte. Und wichtiger als das: wie er die Hälfte des Geldes für sich behalten und die andere Hälfte zu Hause abgeben könnte, damit er nicht schief angesehen würde. In diesem Augenblick kam ihm nur der Ausweg in den Sinn, die Hälfte des Geldes zu verstecken. Deshalb schlich er sich hinter eine verfallene Mauer und knüpfte die Kordel an seiner Pluderhose auf. Der Hosenbund war der sicherste Platz. Die Kordel verknotend, trat er wieder in die Gasse. Jetzt waren nur noch zwei Geldscheine in seiner Faust, der Kaufpreis für seinen Anteil an der Gotteserde. Es sollte aussehen, als hätte er nur ein Drittel des Bodens aus Ssolutschs Nachlass an Mirsa und seine Teilhaber übertragen.

In der Gasse erblickte er die Frau von Ali Genou, die in der Dunkelheit wie ein Schatten herankroch, langsam, sehr langsam. Mit einer Hand stützte sie sich an die Mauer, mit der anderen auf ein Stück Holz. Sie kam näher, zart und mager. Ihr leises Wimmern glich dem Flügelschlag einer Fledermaus. Abbass wurde aus seinen Grübeleien gerissen; Roghiyeh zog seine Gedanken auf sich.

Obwohl Roghiyeh einige Tage in der Stadt im Krankenhaus gelegen hatte, war kein Zeichen von Besserung an ihr zu bemerken. Von Tag zu Tag ging es mit dieser gebrochenen Frau bergab. Sie löste sich auf. Ihre Knochen schrumpften zusammen, die Haut in ihrem Gesicht trocknete immer mehr aus. Sie hatte keinen Atem zu sprechen, ihre Beine konnten diese paar Pfund Knochen nicht mehr sicher hierhin und dahin schleppen. Spindeldürr war sie geworden.

Abbass blieb dicht vor ihr stehen und fragte laut, als wäre Roghiyeh schwerhörig: »Wie gehts dir, Roghiyeh? Gut?«

Roghiyeh lehnte sich an die Mauer und holte Luft. Es sah aus, als werde sie in diesem Augenblick sterben.



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