Der laufende Berg by Ludwig Ganghofer

Der laufende Berg by Ludwig Ganghofer

Autor:Ludwig Ganghofer
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Fackelverlag


9

In der Simmerau waren die Eisenschlaudern an die zersprungene Mauer gesetzt, die Wandnarben waren mit Zement überstrichen, und noch in der Dämmerung hatte Mathes die ganze Rückseite des Hauses frisch geweißt, damit der Vater am Morgen wieder eine tadellose Mauer sehen möchte. Vor dem Schlafengehen blieben sie noch eine Weile unter der Haustür stehen und lauschten dem Trost, den ihnen der kalte Wind in die Ohren pfiff. »Vater!« sagte Mathes, »schau nur, wie hinterm Nebel die schweren Wolken nachrucken! Dö tragen Schnee. Paß auf! Dö bringen über zwei, drei Tag den richtigen Winter. Und d' Ruh für uns.« »D' Ruh für uns!« Michel, die dürren Hände faltend, sah zum Himmel hinauf. Als fiele ihm ein besseres Gebet nicht ein, wiederholte er ein paarmal: »D' Ruh für uns! D' Ruh für uns!« Er bekreuzte Gesicht und Brust. »Heut schlaf ich a bißl besser!« Sie traten in den Flur. Hier, in dem dunklen Raum, in dem sich der Ausdruck eines Gesichtes nicht mehr unterscheiden ließ, fragte Mathes unvermittelt: »Du? Vater? Hast amal ebbes reden hören, als ob der Purtscheller a Gschäft mit'm Juden hätt?« »Warum fragst?« »Weil ich den Rufel vor'm Purtschellerhof auf der Hausbank hab sitzen sehen.« »Den Rufel? Ah na! Da hat's kei' Gfahr net. Der Rufel laßt sich auf schieche Sachen net ein. An Holzhandel, mein' ich, gilt's halt. Drüben im Wald is viel Holz gfallen. Dös möcht halt der Herr Purtscheller gern verkaufen, denk ich mir. Aber anbringen wird er's hart.« Mathes trat in die Stube, ohne ein Wort zu erwidern. Dann war's in dem kleinen Hause still. Nur Vroni war noch auf und geisterte beim flackernden Schein eines Talglichts in ihrer Kammer. Zuweilen fuhr ein kalter Windstoß durch das offene Fenster und machte die kleine Flamme zucken. Mauerbrocken waren auf den Dielen zerstreut, neben einer Mörtelkufe lagen Spitzhammer und Kelle, und an der Wand sah man noch die offenen Löcher, in welche die Schraubenmuttern der eisernen Schlaudern versenkt waren. Der Tag hatte nicht mehr ausgereicht, um auch auf der Innenseite der Mauer den Schaden völlig auszubessern und die kleine Kammer wieder in wohnliche Ordnung zu bringen. Deshalb sollte Vroni drüben in der Stube schlafen. Um Auszug zu halten, wickelte sie eine Lodendecke mit dem Unterbett und einem Kissen zu einem Pack zusammen und nahm ein Leintuch aus dem blau gestrichenen Schrank, dessen Türen mit zwei flammenden Herzen bemalt waren. Lang betrachtete sie die breiten roten Dinger, als gäbe ihr dieses brennende Herzenpaar zu denken. Eine harte Furche war zwischen Vronis Brauen gesenkt. Schließlich hob sie gar die Hand und strich über die Bretter, als wollte sie versuchen, ob die ärgerliche Malerei sich nicht fortwischen ließe. Das war gute, dauerhafte Farbe. In den fünfunddreißig Jahren, seit dieser Kasten neu und frisch lackiert auf Mutter Katherls Hochzeitswagen seinen Einzug in der Simmerau gehalten hatte, waren die zwei roten Herzen kaum merklich abgeblaßt. »So was Dumms! Söllene Sachen auf an Kasten malen!« Ein leises Klatschen machte sie aufblicken. Vom Garten herein war eine weiße Katze auf das Fensterbrett gesprungen. »So,



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