Der Hoteldetektiv by Alexandra Cordes
Autor:Alexandra Cordes [Cordes, Alexandra]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Eltern, das wußte ich inzwischen, hatten das nie getan. Vor allem
ihre Mutter nicht.
Für die Mutter war Jinny ein Kuckucksei, ich würde zwar lieber
sagen, ein Paradiesvogel, aber das hätte nicht gestimmt.
Das Mädchen, das so schön war und dazu über einen eisernen
Willen verfügte, das sich durchsetzte und die höhere Schule besuch-te und auch danach alle Widerstände überwand und im Handum-
drehen in einem der größten Hotels in Frankfurt angestellt wurde,
am Empfang, ein solches Mädchen paßte nicht in die kleinbürger-
liche Familie, in der nur Söhne etwas galten. Aber wer hätte sich
schon Jinnys Lächeln entziehen können, ihrer Stimme, die so sanft
sein konnte, wie Katzenpfoten, wenn die Krallen, o ja, die hatte sie, eingezogen waren?
Für Jinny war meine Mutter die Mutter, die sie sich immer ge-
wünscht hatte, und für meine Mutter war Jinny die Tochter, die
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sie sich immer gewünscht hatte, wäre mein Vater, auf den sie nach
all den vielen Jahren immer noch wartete, damals nicht im Krieg
geblieben.
Ich ließ die beiden Frauen allein.
Stromerte durch die Stadt, besuchte alte Kneipen, fand alte
Freunde, besuchte auch das Polizeipräsidium, fand alte Kumpel.
Ich ließ mir Zeit, viel Zeit.
So vieles gab es zu erzählen, so vieles aufzufrischen.
Ich weiß nicht, wie oft wir an diesem Abend, in dieser Nacht ge-
sagt haben: »Und weißt du noch, und damals, und wie es war…«
Schön war es gewesen, und gut war es gewesen, und ich fühlte mich
allen so nahe, als gehörte ich noch zu ihnen.
Wir besoffen uns nicht oder schwelgten etwa in bier- oder wein-
seligen Erinnerungen.
Nein, ganz und gar nicht. Wir tranken Kaffee, wie in alten Zeiten, bevor wir auf Streife gingen, und wir teilten uns Butterbrote, die inzwischen von Ehefrauen, sorgfältig in Alufolie eingepackt, mit-gegeben wurden.
Die alten Kollegen bewunderten mein handgenähtes englisches
Jackett ohne Neid, sie waren wißbegierig, wie sah es draußen in der Welt aus, in der ich jetzt lebte?
Ich gestehe, diese Welt war manchmal kälter und manchmal trau-
riger als ihre.
Ich war drauf und dran, Jinny vorzuschlagen, daß wir in Aachen
bleiben sollten.
Ich war drauf und dran zu sagen, bescheide dich, Junge, du
brauchst kein großes Gehalt.
Ein Freund, Heinrich, rechnete mir genau vor, wie ich es an-
stel en könnte, zu einem Eigenheim zu kommen, sogar in einer gu-
ten Gegend. Mit einem kleinen Teich vor der Tür und Birken
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drumherum und ein paar Bänken für alte Leute und einem Kin-
derspielplatz.
Mann, o Mann, wie gut das klang.
Mann, o Mann, wie ich mich plötzlich danach sehnte.
Aber noch war es nicht soweit.
Noch hatten wir ein paar Jahre Zeit, Jinny und ich. Und ich sag-
te: »Sei mir nicht böse, Heinrich, aber ich muß mir noch etwas den Wind um die Nase wehen lassen.«
Und er lachte und sagte: »Recht hast du, die Zeit ist nicht unend-
lich.«
Damit ging ich nach Hause.
Meine Mutter öffnete mir die Tür, ging auf Zehenspitzen in die
Küche, und ich roch den vertrauten Duft nach der typischen
Aachener Fleischsuppe.
Ich schob, wie früher, Lauch und Sellerie an den Tellerrand. Ma-
ma schaute mir lächelnd zu, was sie früher nie getan hatte.
»Jinny wollte nicht ins Hotel«, flüsterte sie. »Jinny schläft schon in deinem Bett.«
Wir schauten uns lange an, dann sagte Mama: »Halte sie gut fest,
deine Johanna. Du hast die richtige Wahl getroffen.
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