Der Hexer und die Henkerstochter by Pötzsch Oliver

Der Hexer und die Henkerstochter by Pötzsch Oliver

Autor:Pötzsch, Oliver
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Roman
ISBN: 9783843701051
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2012-01-01T05:00:00+00:00


Freitag, der 18. Juni Anno Domini 1666,

mittags in Andechs

ie Kutte kratzte und juckte, und Jakob Kuisl glaubte, darin den Schweiß von mindestens einem Dutzend fetter Mönche zu riechen. Trotzdem zog er sich die Kapuze über, während er den Weg zum Klosterbau hinüberstapfte. Er hatte sich unten im Schinderhaus umgezogen, war aber gleich darauf wieder auf den Heiligen Berg zurückgekehrt. Die vielen Wallfahrer, die mittlerweile Erling und die umliegenden Ortschaften bevölkerten, machten ihm bereitwillig Platz, und nur die wenigsten wunderten sich, war­um der Franziskaner so unchristlich fluchte.

Der Henker wusste nicht, wonach er oben im Kloster suchen sollte. Aber die Zeit drängte. Vermutlich würden sie schon heute in Weilheim mit der ersten Befragung seines Freundes anfangen. Bis zum Scheiterhaufen war es dann nicht mehr weit. Wenn er nicht bald irgendeine Spur entdeckte, die ihn zum wahren Hexer führte, würde der unschuldige Nepomuk einen grausamen, sehr schmerzvollen Tod sterben.

Oben angekommen, sah Kuisl, dass wohl schon bald eine weitere Messe begann. Jetzt, so kurz vor dem Dreihostienfest, gab es täglich bis zu einem halben Dutzend Gottesdienste. Die ersten Wallfahrer strebten bereits auf das mit Gerüsten umstellte Eingangsportal der Kirche zu.

Skeptisch sah Kuisl zu dem noch immer offenen Dach und der aus frischen Balken gezimmerten Turmspitze empor. So wie es derzeit um das Gebäude bestellt war, würde es wohl nicht bis zum Dreihostienfest fertig. Vor allem dann nicht, wenn die Maurer gleich reihenweise wegen dieser mysteriösen Krankheit das Bett hüten mussten. Kuisl hatte gehört, dass immer mehr Männer von der Baustelle mit Fieber da­niederlagen.

Soeben betrat eine größere Gruppe Benediktiner die Kirche. Der Henker wollte ihnen schon folgen, aber dann fiel ihm ein, dass dies ein günstiger Zeitpunkt war, die Zellen der Mönche aufzusuchen. Vielleicht ließ sich ja in den Schlafkammern und den übrigen Wohnräumen des Klosters irgendetwas herausfinden, was ihn weiterbrachte.

Den Kopf tief gesenkt wie zum Gebet, eilte Kuisl durch die innere Pforte in den Klosterhof und von dort weiter durch ein offen stehendes Portal in den Osttrakt des dreistöckigen Gebäudes. Der Henker hatte zwar keine Ahnung, wo die einzelnen Zellen der Mönche lagen, doch glücklicherweise waren die meisten Klosterräume jetzt während der Messe leer. Nur ein uralter Mönch fegte mit gebeugtem Rücken das Refektorium, wo die Brüder dreimal täglich ihre Speisen einnahmen. Der Greis bemerkte ihn nicht, und so ging Kuisl weiter durch die Gänge, mono­ton seine lateinischen Gebete murmelnd: »Dominus pascit me nihil mihi deerit, in pascuis herbarum adclinavit me …«

Von fern waren die Orgel und die Gesänge der Gläubigen zu hören, die jedoch merklich leiser wurden, je mehr Kuisl sich von der Kirche entfernte.

Das Kloster war ein trutziges Geviert mit einem Innenhof, den Kuisl verschwommen durch die hohen Butzenglas­fenster erkennen konnte. Der Henker hatte beschlossen, sich zunächst im Erdgeschoss umzusehen und sich dann durch die weiteren Stockwerke nach oben zu arbeiten. So lange, bis er etwas gefunden hatte oder erwischt wurde. Trotz seiner Verkleidung und der gemurmelten Gebete machte sich Jakob Kuisl keine Illusionen: Sollten ihn die Mönche in einer der Klosterzellen entdecken, würde er schon eine sehr gute Ausrede brauchen, um wieder freizukommen.



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