Der Glühwürmchensommer by Gilles Paris

Der Glühwürmchensommer by Gilles Paris

Autor:Gilles Paris
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2014-11-02T16:00:00+00:00


Das letzte Mal habe ich Papa in Paris gesehen, kurz bevor wir in die Ferien gefahren sind.

Pilar bringt mich zum Zug. Sie wartet sogar, bis er in den Bahnhof eingefahren ist, und schiebt dann meinen kleinen Koffer in die Gepäckablage am Eingang des Waggons. Bevor sie geht, drückt sie mir einen Fünf-Euro-Schein in die Hand, damit ich mir Haribo und eine Cola kaufen kann. Und sie trägt mir auf: »Vergiss nicht, uns anzurufen, sobald du in Paris bist«, als könnte der Zug entgleisen oder noch was Schlimmeres passieren.

Ich muss dringend aufs Klo, aber um die Toilettentür aufzukriegen, muss man auf einen Knopf drücken, und der funktioniert nicht. Obwohl ich es ein paarmal versuche, bleibt die Klotür geschlossen. Außerdem habe ich Angst, dass ich vielleicht für immer drinbleiben muss, wenn ich es endlich reingeschafft habe.

Bis zu Papa sind es noch zwei Stunden. Ich sehe die Landschaft rückwärts an mir vorbeirasen. Die Frau, die neben mir sitzt, schaut sich auf ihrem Computer einen Film an. Einen von der Art, wie Mama und Pilar sie gern mögen, sehr romantisch und mit Menschen, die sich lieben, aber bis zum Ende des Films warten, um es sich zu sagen. Alicia hasst solche Filme, sie findet, ihnen fehlt die Action. Das behauptet sie jedenfalls, aber sie sieht sich die Filme trotzdem mit unseren Mamas bis zum Schluss an. Auf dem Bildschirm erhasche ich einen Blick auf ein kleines Haus ohne Menschen und mit einer großen Weide voller Kühe. Die Frau lächelt mir zu und dreht ihren Computer, damit ich besser sehen kann. Aber ohne Ton verstehe ich sowieso nichts.

Ich stehe auf, um mir Haribo und eine Cola zu kaufen, und finde endlich eine Toilette mit Schiebetür. Es ist höchste Eisenbahn. Weil ich es so eilig habe, pinkele ich neben die Kloschüssel, stehle mich wie ein Dieb raus und bin ganz erleichtert, dass vor der Tür niemand wartet.

Im Zug kann man nur so komisch gehen, und ich wanke, als hätte ich Alicias Bierflaschen leer getrunken. Dabei habe ich noch nie Alkohol getrunken, abgesehen von einem Schlückchen Rotwein aus Pilars Glas und dem Rest aus einer Bierflasche, die in Alicias Zimmer rumlag. Ich halte mich an den Armstützen der Sitze fest, steige über einen Fuß und einen nicht verstauten Koffer mitten im Gang und kehre mit den Haribos und der Cola an meinen Platz zurück. Die Frau steht mit ihrem Computer auf, um mich durchzulassen, und als sie sich wieder hinsetzt, hat sie ein Stück von ihrem Film verpasst.

Ich schaue auf meine Uhr, und der große Peter-Pan-Zeiger sagt mir, dass es noch eine Stunde bis zu Papa ist. Hinter der Fensterscheibe sehe ich Flüsse, das Land und Dörfer mit Kirchtürmen, die alle Häuser überragen. Und Menschen, so groß wie ein Päckchen Vogue-Zigaretten. Wenn ich gegen die Fahrtrichtung sitze, kommt es mir immer so vor, als würden all diese Menschen vom gewaltigen Mund eines Riesen aufgesaugt. Von einem sehr gefräßigen Riesen, der auch die Flüsse, die Dörfer, das Land, die Kühe und die Kirchtürme verschluckt.

Endlich kommt der Zug in Paris an.



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