Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung by Kamel Daoud

Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung by Kamel Daoud

Autor:Kamel Daoud
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag


VIII

Ich drückte auf den Abzug und schoss zwei Mal. Zwei Kugeln. Eine in den Bauch und die andere in den Hals. Insgesamt also sieben, dachte ich absurderweise sofort. (Nur dass die ersten fünf, die Moussa getötet hatten, zwanzig Jahre früher abgegeben worden waren …)

M’ma stand hinter mir, und ich spürte ihren Blick wie eine Hand, die mich von hinten anschob, meinen Arm dabei lenkend und ganz leicht meinen Kopf in dem Moment bewegend, als ich zielte. Der soeben von mir getötete Mann verzog noch immer überrascht das Gesicht zu einer Grimasse – mit großen runden Augen und einem grotesk gespannten Mund. Ein Hund bellte von Weitem. Der Baum neben unserem Haus zitterte noch unter dem schwarzen heißen Himmel. Mein ganzer Körper war reglos, wie in einem Krampf erstarrt. Der Griff der Waffe klebte vor Schweiß. Es war Nacht, aber man konnte alles klar sehen. Weil der Mond so phosphoreszierend schien. Zum Greifen nahe, wenn man sich in den Himmel emporgeschwungen hätte. Der Mann schwitzte seinen letzten Entsetzensschweiß heraus. Er wird das ganze Wasser der Welt herausschwitzen und sich dann, so eingeweicht, mit dem Dreck verbinden, sagte ich mir. Ich stellte mir seinen Tod schon wie den Zerfall der Elemente vor. Auch die Scheußlichkeit meines Verbrechens würde sich gewissermaßen darin auflösen. Das war kein Mord, sondern eine Restitution. Bei einem Typen wie mir mag es wie eine Anmaßung erscheinen, aber ich dachte auch, dass er kein Moslem war und sein Tod deshalb nichts Verbotenes war. Ich wusste aber auch sofort, dass dies ein feiger Gedanke war. Ich erinnere mich an seinen Blick. Ich glaube, er beschuldigte mich nicht einmal, aber er starrte mich an, wie man eine unvorhergesehene Sackgasse anstarren würde. M’ma stand immer noch hinter mir, während ich ihre Erleichterung spürte, als sich ihr Atem beruhigte und plötzlich sehr sanft wurde. Der war bis dahin nur noch ein Zischen gewesen. (»Seit Moussas Tod«, sagte eine Stimme zu mir.) Der Mond schaute zu, der auch; der ganze Himmel schien ein einziger Mond zu sein. Er hatte die Erde schon leichter gemacht und die feuchte Hitze ging schnell zurück. Am dunklen Horizont bellte der Hund lang gezogen ein zweites Mal und hätte mich fast aus der Erstarrung herausgerissen, die mich überkommen hatte. Ich fand es lächerlich, dass ein Mann mit einer solchen Leichtigkeit sterben und mit seinem theatralischen, fast komischen Dahinsinken unsere Geschichte beenden konnte. Aus meinem Herzen schoss mir eine ohrenbetäubende Angst in den Kopf und ließ meine Schläfen pochen.

M’ma rührte sich nicht, aber ich wusste, dass sie ihre das ganze Universum umfassende Wachsamkeit nun aufgab und ihre Siebensachen packte, um sich in ihr endlich verdientes Alter zu begeben. Ich wusste es instinktiv. Ich spürte, wie es in meiner rechten Achselhöhle eiskalt wurde, unter dem Arm, der soeben das Gleichgewicht der Dinge zerstört hatte. »Jetzt werden die Dinge vielleicht endlich wieder so werden wie zuvor«, sagte jemand. Ich hörte Stimmen im Kopf. Vielleicht war es Moussa, der da sprach. Wenn du tötest, gibt es eine Seite in dir, die sofort eine



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