Der Diversant by Hesse Andree

Der Diversant by Hesse Andree

Autor:Hesse, Andree [Hesse, Andree]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783827079350
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2017-03-20T16:00:00+00:00


9

Anfangs glaubte ich zu träumen. Als ich wach wurde und die Augen öffnete, sah ich Lichter über die Wände flackern. Ich hörte Gehupe und Gezeter. Sirenen ertönten. Neben mir am Fenster stand jemand, das Gesicht von einem blauen Schein beleuchtet.

»Guck mal«, sagte mein Cousin Jens und wedelte mit dem Arm. »Da hat’s richtig gekracht.«

»Wie spät ist es denn?«

»Keine Ahnung. Guck dir das an!«

Ich rieb mir die Augen und erinnerte mich. Ich lag auf dem Sofa in Jens’ Zimmer in der Wohnung von Tante Herta. Jens und ich hatten am Abend Bier getrunken. Wir waren in einer Kneipe gewesen, an einem Platz nicht weit von Tante Hertas Wohnung. Die Kneipe nannte sich Bar. Ein Schlauch mit Hockern an der Theke, vor denen junge Männer in engen Anzügen und junge Frauen in weiten Röcken standen. Am Ende, neben der Tür zum Klo, gab es einen Musikautomaten. Die Musik war so laut, dass man kaum reden konnte. Eine Musik, die mir gleich in die Beine ging. Rock ’n’ Roll, hatte Jens dazu gesagt. Ein paar Frauen tanzten, obwohl überhaupt kein Platz zum Tanzen war. Wir saßen an der Theke und tranken klares Bier aus tulpenförmigen Gläsern. Jens schien nicht viel zu vertragen, schon nach zwei Gläsern bekam er glasige Augen und hatte Probleme beim Sprechen. Wir tranken trotzdem noch eins und sahen den Frauen beim Tanzen zu. Was ich sah, gefiel mir, doch ich hatte noch die Caritas-Hose an und blieb deshalb lieber an der Theke sitzen. Beim Zuschauen musste ich an Gerlinde und unsere Tanzabende denken.

Ich stand auf, stellte mich neben Jens und sah aus dem Fenster. Die Wohnung lag im vierten Stock, von hier aus hatten wir einen guten Blick über die Parkanlage und die vierspurige Ringstraße. Selbst zu dieser späten Stunde herrschte reger Verkehr. An der Kreuzung waren zwei Wagen ineinandergekracht. Der eine hatte wohl abbiegen und der andere geradeaus fahren wollen. Polizisten regelten die Lage. Blaulichter von Krankenwagen schwirrten über die Fassaden. Schaulustige standen auf den Gehwegen. Zwei Sanitäter kümmerten sich um eine am Boden liegende Gestalt. Eine andere wurde auf einer Trage abtransportiert. Wir schauten uns das eine Weile an, dann wurde es uns langweilig. Ich legte mich wieder aufs Sofa, Jens ging zurück in sein Bett.

»Gute Nacht«, sagte er.

»Gute Nacht.«

Wenige Tage zuvor hatten sie mich aus Uelzen abgeholt. Ich hatte einen vorläufigen Personalausweis bekommen sowie die Auflage, mich in Braunschweig behördlich zu melden. Wieder waren nur meine Tante und Oma gekommen, Herta chauffierte, sie hatte schon damals in Heringen einen Führerschein gehabt, Oma dirigierte. Ein paar Nächte schlief ich auf dem Sofa bei Jens, nebenan hatte Bärbel ihr Zimmer, ich erkannte sie tatsächlich kaum wieder. Sie ging noch zur Schule und mir meist aus dem Weg. Oma und Opa wohnten im gleichen Haus unter dem Dach, doch während sie manchmal runterkam, um nach dem Rechten zu sehen, bekam ich meinen Großvater nicht zu Gesicht. Aus einem unerfindlichen Grund durfte ich auch nicht zu ihm hoch, um ihn zu begrüßen.

Nach ein paar Tagen zog ich zu Vater um. Er wohnte nicht weit entfernt von Tante Herta am Ufer der Oker.



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