Der Brombeerpirat by Sandra Lüpkes

Der Brombeerpirat by Sandra Lüpkes

Autor:Sandra Lüpkes
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-01-30T23:00:00+00:00


17.

Jasper hatte den Schuss gehört. Vielleicht hatte er geschlafen, er wusste es nicht ganz genau, jedenfalls hatte dieser Knall ihn von der Liege hochschrecken lassen. Ihm tat alles weh. Die zweite Nacht in seinem merkwürdigen Gefängnis. Die leeren Dosen Schweinekopfsülze standen auf dem Boden. Er war froh, dass der kleine, rostige Wasserhahn an der Wand ihn immerhin vor dem Verdursten bewahrte, und das verwitterte Abflussgitter darunter ermöglichte ihm, in unwürdiger, aber sauberer Weise auf den Boden zu pinkeln. Doch so langsam könnte es eng werden. Wenn nicht bald mal jemand auf die Idee käme, nach ihm zu suchen, dann konnte dieses bereits in seinem Leib zerrende Gefühl von Hunger zur Tortur werden.

Ein zweiter Schuss. Es war keine Jagdsaison.

Wenn hier jemand rumballerte, dann waren vielleicht ein paar Menschen in der Nähe.

Er wankte zum engen Lüftungsschacht, der ihm nach oben hin einen winzigen Blick auf die Grasnarbe des darüber liegenden Vorgartens gewährte.

»Hallo, ich bin hier unten, kann mich jemand hören?« Was sollte er sonst rufen, es fiel ihm nichts ein. »Hilfe, Hilfe!« Das klang banal. Und doch tat es gut, mal wieder eine Stimme zu hören, auch wenn es nur seine eigene war.

Die Antwort war wiederum nur ein reißender Knall aus der Mündung einer Waffe. Wer schoss zum Teufel mitten in den Inseldünen herum?

Sein Zeitgefühl hatte ihn verlassen. Seine Uhr erzählte ihm, dass es elf Uhr am Tag nach seinem vierzigsten Geburtstag war. Jasper wollte es eigentlich nicht glauben.

Schuss Nummer drei.

»Warum bin ich nicht tot?« Ein wenig fühlte er sich so.

Oma Alide war tot. Er hatte in der letzten Nacht mehr als nur einmal an diese wunderbare alte Frau gedacht, in deren Vorratskeller er nun die trostlosesten Augenblicke seines Lebens verbrachte. Sie war der erste Mensch gewesen, der ihm tatsächlich etwas über das Erwachsenwerden erzählen konnte. Sie hatte so mollig und rund auf ihrer Friesenbank im Garten gesessen und diesen einen Satz zu ihm gesagt: »Du kannst dir deine Jugend nur dann bewahren, wenn du die Jugend vor der Welt der Erwachsenen schützt.«

Damals war einiges in ihm vorgegangen. Er hatte zum ersten Mal begriffen, dass er kein Spinner und Träumer sein musste, um nicht so zu werden, wie die anderen seines Alters bereits waren. Er brauchte seine Ideale nicht über den Haufen zu werfen, um etwas Sinnvolles zu machen, er musste sie nur an der richtigen Stelle anbringen.

Und dann hatte er sie in diesem Haus nach und nach alle kennen gelernt: den Hünen Jens mit dem Mut eines verschüchterten Hündchens; die provokante Pinki, die ihre wahren Werte trotzig hinter zwanghafter Oberflächlichkeit versteckte, auch den weichherzigen Rebellen Wilko, den cleveren Dummkopf Philip und die so sterbenslangweilig scheinende Swantje, die in ihrem hübschen Köpfchen die wildesten Ideen ausbrütete. Und natürlich Leefke.

Die hatte damals ihrer Oma das Inhaliergerät gebracht, noch bevor sie von einem Asthmaanfall überwältigt wurde. Denn Leefke hatte eine ganz feine Antenne für die Dinge, die zwischen all den gesagten Worten und vollbrachten Taten lagen. Leefke stand vor allen anderen und dadurch immer irgendwie im Abseits. Sie war so filigran, nicht nur ihr magerer Körper und das zerbrechliche Gesicht.



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