Der brennende Mann by Williams Tad
Autor:Williams, Tad [Williams, Tad]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-10-06T16:00:07+00:00
Ich bot der Hexe den Tod an, und sie revanchierte sich mit einer Prophezeiung.
Die Wachtposten des Inneren Zwingers riefen die Mitternachtsstunde aus, als ich aufstand. Ich war seit Stunden im Bett, aber der Schlaf war nicht einmal in meine Nähe gekommen. Ich warf mir meinen dicksten Mantel über und stahl mich auf den Flur hinaus. Ich konnte meinen Stiefvater hinter seiner Tür wie mit einem Besucher sprechen hören. Es tat mir weh, seine Stimme zu hören, weil ich wußte, daß er allein war.
Um diese Zeit war die einzige Wache im Kerker ein verkrüppelter alter Soldat, der sich nicht einmal im Schlaf regte, als ich an ihm vorbeiging. Die Fackel in der Wandhalterung war weit heruntergebrannt, daher konnte ich den Umriß der Hexe in den Schatten zuerst gar nicht erkennen. Ich wollte sie rufen, wußte aber nicht, was ich sagen sollte. Die Masse der immensen schlafenden Burg schien mich niederzudrücken.
Schließlich klirrten die schweren Ketten. »Bist du das, kleine Tochter?« Ihre Stimme klang erschöpft. Nach einer Weile stand sie auf und kam näher geschlurft. Selbst in dem schwachen Licht hatte sie das schreckliche Aussehen einer Sterbenden. Ich griff mit der Hand verstohlen an den Beutel, den ich um den Hals hatte. Ich berührte meinen goldenen Baum, während ich ein stummes Gebet sprach, dann die Krümmung dieses anderen Gegenstands, den ich seit der Nacht bei mir trug, als meine Mutter starb. In einem Augenblick, der von einem eigenen Licht erfüllt zu sein schien, unabhängig vom flackernden Schein der Fackel, zog ich die Drachenklaue heraus und gab sie ihr durch die Gitterstäbe.
Die Hexe zog eine Braue hoch, als sie sie von mir entgegennahm. Sie drehte die Klaue sorgfältig auf der Handfläche um und lächelte traurig. »Eine vergiftete Eulenkralle. Sehr passend. Soll ich sie an meinen Häschern ausprobieren? Oder an mir selbst?«
Ich zuckte hilflos die Achseln. »Du wolltest frei sein.«
»Nicht damit, kleine Tochter«, sagte sie. »Jedenfalls diesmal nicht. Ich habe bereits eingelenkt – besser gesagt, mich auf einen Handel eingelassen. Ich habe eingewilligt, deinem Stiefvater zu geben, was er glaubt zu wollen, und bekomme dafür meine Freiheit. Ich muß den Himmel wieder sehen und fühlen.« Sanft gab sie mir die Klaue zurück.
Ich sah sie an und war fast krank vom Bedürfnis, etwas zu erfahren. »Warum verrätst du mir deinen Namen nicht?«
Wieder ein trauriges Lächeln. »Weil ich meinen wirklichen Namen niemandem verrate. Weil jeder andere Name eine Lüge wäre.«
»Dann erzähl mir eine Lüge.«
»Wirklich ein seltsamer Haushalt! Nun denn. Die Menschen im Norden nennen mich Valada.«
Ich versuchte es in meiner Sprache. »Valada. Er wird dir jetzt die Freiheit geben?«
»Bald, wenn die Abmachung von beiden Seiten eingehalten wird.«
»Was ist das für eine Abmachung?«
»Eine schlechte für alle Beteiligten.« Sie sah meinen Gesichtsausdruck. »Glaub mir, du willst es eigentlich nicht wissen. Um dieses Wahnsinns willen wird jemand sterben – das sehe ich so deutlich wie dein Gesicht, das durch die Tür schaut.«
Mein Herz lag wie ein kalter Stein in meiner Brust. »Jemand wird sterben? Wer?«
Ihr Ausdruck wurde resigniert, und ich konnte sehen, daß es sie Anstrengung kostete, mit den Fesseln aufrecht zu stehen.
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