Der bemalte Vogel by Jerzy Kosinski

Der bemalte Vogel by Jerzy Kosinski

Autor:Jerzy Kosinski [Kosinski, Jerzy]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Arche Literatur Verlag AG
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00


Der Priester fuhr mit mir in einem geliehenen Fuhrwerk davon. Er erklärte, dass er in einem Nachbardorf jemand finden würde, der mich bis Kriegsende in seine Obhut nähme. An der Kirche vor dem Dorf machten wir halt. Der Priester ließ mich auf dem Wagen sitzen und ging allein in das Pfarrhaus, wo ich ihn mit dem Vikar reden sah. Sie gestikulierten und flüsterten erregt. Dann kamen sie beide auf mich zu. Ich sprang vom Wagen, machte eine höfliche Verbeugung vor dem Vikar und küsste seinen Ärmel. Er schaute mich an, gab mir seinen Segen und kehrte dann ohne ein weiteres Wort ins Pfarrhaus zurück.

Der Priester fuhr weiter und machte schließlich am anderen Ende der Ortschaft vor einem allein stehenden Gehöft halt. Er ging hinein und blieb so lange weg, dass ich mich zu fragen begann, ob ihm etwas zugestoßen sein mochte. Ein riesiger Wolfshund mit einem mürrischen, tückischen Gesichtsausdruck bewachte das Grundstück.

Der Priester kam heraus, begleitet von einem kleinen, untersetzten Bauern. Der Hund zog den Schwanz ein und hörte auf zu knurren. Der Mann schaute mich an und trat dann mit dem Priester beiseite. Ich konnte nur Bruchstücke ihrer Unterhaltung hören, aber der Bauer war offensichtlich außer Fassung. Indem er auf mich deutete, schwor er, ein Blick genüge, um zu erkennen, dass ich ein ungetaufter Zigeunerbastard wäre. Der Priester widersprach leise, aber der Mann wollte keine Einwände gelten lassen. Wenn er mich dabehielte, würde er sich großen Gefahren aussetzen, argumentierte er; die Deutschen kämen oft ins Dorf, und wenn sie mich fänden, würde es zu spät sein, noch etwas zu unternehmen.

Allmählich verlor der Priester die Geduld. Plötzlich ergriff er den Mann beim Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Daraufhin fügte sich der Bauer und rief mir fluchend zu, ihm ins Haus zu folgen.

Der Priester trat näher an mich heran und schaute mir in die Augen. Schweigend starrten wir uns an. Ich wusste nicht recht, was ich machen sollte. Ich versuchte seine Hand zu küssen, drückte den Kuss jedoch daneben auf meinen Ärmel und geriet in Verwirrung. Er lachte, schlug das Zeichen des Kreuzes über meinem Kopf und verschwand.

Sobald er sich vergewissert hatte, dass der Priester außer Sicht war, packte der Mann mich am Ohr, hob mich dabei fast vom Erdboden auf und zerrte mich in die Kate. Als ich schrie, stieß er mir die Finger so heftig in die Rippen, dass mir die Luft wegblieb.

Wir waren zu dritt im Haus: Garbos, der Bauer, der ein totes, niemals lächelndes Gesicht und einen schlaffen Mund hatte, der Hund Judas mit klugen, leuchtenden Augen und ich. Garbos war Witwer. Wenn es zu Auseinandersetzungen kam, erwähnten die Nachbarn mitunter ein Judenmädchen namens Lilka, das Garbos zu sich genommen hätte, als seine Eltern vor einiger Zeit geflüchtet waren. Jedes Mal wenn Garbos’ Kühe oder Schweine Ernteschäden anrichteten, erinnerten die Dörfler ihn voller Bosheit an dieses Mädchen. Sie behaupteten, er hätte es täglich geprügelt, vergewaltigt und zu perversen Handlungen gezwungen, bis es schließlich verschwunden wäre. Derartige Beschuldigungen versetzten Garbos in Wut. Dann band er Judas los und drohte, ihn auf die Verleumder zu hetzen.



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