Delete by Karl Olsberg

Delete by Karl Olsberg

Autor:Karl Olsberg
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783833309397
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2013-10-14T22:00:00+00:00


31.

»Ihr Mitarbeiter ist bereits hier«, wurde Eisenberg von einer Empfangsdame begrüßt.

»Schon oder immer noch?«

Er traute Wissmann durchaus zu, die Nacht durchgearbeitet zu haben. Sie lächelte.

»Als ich heute um sieben Uhr kam, stand er vor der Tür und wartete.«

»Gut. Darf ich zu ihm? Ich glaube, ich finde den Weg allein.«

»Selbstverständlich.«

Eisenberg durchschritt das alte Metalltor, das das vorgesetzte, moderne Empfangsgebäude aus Glas von der ursprünglichen, weitgehend originalbelassenen Fabrikhalle abteilte. Hatte bei seinem ersten Besuch noch angespannte, emsige Stille geherrscht, empfing ihn nun eine Stimmung wie auf einem Volksfest. Überall standen Mitarbeiter mit Kaffeebechern und plauderten. Um den Arbeitsplatz von Frau Hochhut hatte sich eine dicke Menschentraube gebildet. Niemand schien zu arbeiten. Die Soziologin stand etwas hilflos in der Nähe. Als sie Eisenberg erblickte, lief sie ihm entgegen.

»Guten Morgen, Herr Kommissar! Ihr Mitarbeiter ist bereits da.«

»Das sehe ich.«

»Wirklich phänomenal!«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Er hat in seiner Arbeitsgeschwindigkeit nicht eine Sekunde nachgelassen. Er nimmt in regelmäßigen Abständen einen Schluck Wasser – alle drei Minuten, man kann die Uhr danach stellen – und tippt ansonsten in gleichmäßiger Geschwindigkeit. Er macht nie eine Pause, um etwas zu überlegen oder nachzudenken, sondern schreibt einfach Programmzeile nach Programmzeile! Wie eine – entschuldigen Sie den Ausdruck – Maschine! Niemand hier im Raum hat so etwas je gesehen.«

Eisenberg fragte sich, wie Wissmann sich bei all dem Trubel konzentrieren konnte.

Die Antwort erhielt er, als er sich durch das Gedränge um den Arbeitsplatz schob. Wissmann hatte dicke Kopfhörer aufgesetzt. Wie immer starrte er unbewegt auf den Monitor und tippte.

Eisenberg legte ihm eine Hand auf die Schulter. Wissmann fuhr herum, die Stirn kraus gezogen. Ein Raunen ging durch die Anwesenden, als hätte Eisenberg etwas Unanständiges getan. Wissmann nahm die Kopfhörer ab.

»Was ist?«

»Kommen Sie voran?«

»Ja. Außer man stört mich.«

»Wie lange, denken Sie, brauchen Sie noch, um Ihr Programm fertigzustellen?«

Er kniff die Augen zusammen, als müsse er kurz nachdenken.

»Neunundsechzig Minuten. Plus die Zeit, die wir hier herumreden.«

Gemurmel erhob sich. Eisenberg schmunzelte.

»Dann will ich Sie nicht weiter aufhalten.«

Ohne ein weiteres Wort setzte Wissmann den Kopfhörer wieder auf und schrieb weiter. Eine lautstarke Diskussion setzte ein. Wetten wurden abgeschlossen, ob er tatsächlich in neunundsechzig Minuten – in genau neunundsechzig Minuten – fertig sein würde.

Es stellte sich heraus, dass sich auch Sim Wissmann verschätzen konnte. Bereits nach achtundfünfzig Minuten brandete lauter Beifall auf. Einige Mitarbeiter pfiffen und stießen anfeuernde Rufe aus. Eisenberg, der sich gerade in der Kaffeenische mit Hochhut unterhalten hatte, eilte zu seinem Mitarbeiter.

»Bitte gehen Sie jetzt alle wieder an ihre Plätze!«, rief er.

Niemand hörte auf ihn.

»Was ist denn hier los? Habt ihr nichts zu tun?«, erscholl eine tiefe Stimme. »Wir gehen in sechs Tagen live, schon vergessen?«

Olaf Hagen kam den Mittelgang entlang. Er schaffte, was Eisenberg nicht gelungen war: Die Mitarbeiter zerstreuten sich, enttäuschtes Gemurmel auf den Lippen.

»Guten Morgen, Herr Hauptkommissar. Wie ich sehe, erregt Ihr Mitarbeiter hier einiges Aufsehen. Ich fürchte, ich kann das nicht länger dulden. Wir können nicht zulassen, dass die Mitarbeiter hier von ihrer Arbeit abgelenkt werden. Unser Projekt ist in Gefahr.«

»Er ist schon fertig«, verkündete Hochhut.

Sie strahlte, als sei es ihre eigene Leistung, die sie präsentierte.



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