Das Zeugenhaus: Nürnberg 1945 by Christiane Kohl

Das Zeugenhaus: Nürnberg 1945 by Christiane Kohl

Autor:Christiane Kohl [Kohl, Christiane]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2015-01-16T23:00:00+00:00


Von Forellen- und Frauenjägern

Das Haus lag versteckt hinter Bäumen, seine Fenster waren hell erleuchtet. Die Faber-Castells hatten zu einer ihrer beliebten Abendgesellschaften nach Dürrenhembach gebeten, und diesmal war auch Ingeborg Kálnoky eingeladen. Sie traf auf viele bekannte Gesichter, Vertreter der Anklage wie der Verteidigung – und natürlich war auch Rudolf Diels zugegen. Der einstige Gestapochef stand im Zeugenhaus zwar immer noch unter Hausarrest, über seine guten Kontakte zu den Amerikanern fand er jedoch stets Mittel und Wege, dem Zimmerarrest vorübergehend zu entfliehen. Bei den Faber-Castells bewegte sich Diels nun mit erstaunlicher Ungezwungenheit, wie die Gräfin bemerkte, er schien ein sehr enger Freund des Hauses zu sein.

Noch vor wenigen Jahren war Dürrenhembach nur das Jagdhaus der Faber-Castells gewesen, während des Krieges zog die Familie dann fest in das von dichten Wäldern umgebene Anwesen, das mehr Schutz zu bieten schien vor den Bombenangriffen als der allzu nah bei Nürnberg gelegene Stammsitz in Stein. Das Jagdhaus war von einer angenehmen, ländlich-eleganten Atmosphäre erfüllt. Dunkle Hölzer verkleideten die Innenwände und in der Halle hingen Hirschgeweihe – die amerikanischen Besucher zeigten sich begeistert von diesem Stil. Drexel Sprecher, ein Mitarbeiter im Anklageteam und entfernter Verwandter der Gastgeberin, kam 1946 beinahe jedes Wochenende nach Dürrenhembach. »Ich hatte immer das Eckzimmer im ersten Stock«, erzählte er mir, als ich ihn im Herbst 2004 in Washington besuchte.

Drexel Sprecher wie auch andere Prozessmitarbeiter betrachteten das Anwesen der Faber-Castells als eine Oase der Entspannung und der Friedfertigkeit. Die Gäste konnten Tennis spielen, reiten oder auf die Jagd gehen. »Abends wurde das gejagte Wildfleisch gegessen, das die Köche zubereitet hatten«, berichtete Sprecher, »später saß man dann bei einem Drink und einer Zigarre im Herrenzimmer zusammen und diskutierte über die Zeitläufte.« Ab und zu wurde in Dürrenhembach auch Fisch serviert. Dann hatten Sprecher und der Hausherr in dem nahe gelegenen Bach- und Teichgelände Forellen gefangen: Sie wateten knietief durchs Wasser und fingen die Fische mit bloßen Händen an den Uferrändern. Nach dem Mahl kam bisweilen eine tiefernste Diskussion auf, etwa über die These von der so genannten Kollektivschuld der Deutschen oder auch über andere durch den Prozess angestoßene Themen. Dabei waren der Hausherr und seine amerikanischen Gäste durchaus nicht immer derselben Meinung, wie Sprecher sich erinnerte.

Ich traf Drexel Sprecher in einem Seniorenheim am Rande von Washington, das er kurz zuvor bezogen hatte. Sprecher, mittlerweile 91, war noch immer eine beeindruckende Erscheinung. Er bat mich in seine kleine Wohnung, die er mit seiner Frau teilte. Kerzengerade saß der baumlange alte Herr vor mir; unter seinen buschigen, weißen Augenbrauen schauten ausdrucksvolle blaue Augen hervor, von denen er das eine stets halb geschlossen hielt.

Im Zimmer türmten sich Berge von Dokumenten, viele davon stammten aus der Nürnberger Zeit. Sprecher hatte im Hauptprozess die Anklage gegen Baldur von Schirach vertreten, später war er der Chefankläger im IG-Farben-Prozess gewesen. Wie viele andere Prozessmitarbeiter war Sprecher als Junggeselle nach Nürnberg gekommen; in seiner Freizeit jagte er Rotwild, wie er erzählte – »und vor allem Frauen«. Die Hausherrin in Dürrenhembach, Katharina Gräfin von Faber-Castell, hatte der Amerikaner bereits zu Beginn



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