Das unsichtbare Siegel by Rainer M. Schröder

Das unsichtbare Siegel by Rainer M. Schröder

Autor:Rainer M. Schröder [Schröder, Rainer M.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: Arena
veröffentlicht: 2014-04-02T22:00:00+00:00


9

Der Silvesterball auf Gut Gromwald gehörte zu den großen gesellschaftlichen Ereignissen des Jahres. Was in der Zechenstadt Rang und Namen und Einfluss hatte, traf sich an diesem letzten Abend des Jahres im Haus der Brüggemanns, das sich nach Tagen hektischer Vorbereitungen den eleganten Gästen mit betörender lichterflimmernder Pracht präsentierte. Die illuminierte Allee sorgte schon bei der Ankunft für die rechte Einstimmung: Die Kutschen der Ballgäste passierten ein Spalier aus sechzig mannshohen, hell lodernden Pechfackeln. Und dieses verschwenderische Lichterfest setzte sich im einstigen Gutshaus fort, wo goldgefasste Spiegel und zahllose Trauben aus geschliffenem Kristallglas ihr faszinierendes Spiel mit der festlichen Beleuchtung trieben.

Die beiden großen Salons, die gewöhnlich durch hohe Flügeltüren voneinander getrennt waren, hatten sich in einen regelrechten Ballsaal verwandelt. Am Kopfende befand sich das mit marineblauem Samt bespannte Podium für die neunköpfige Kapelle, die zu den besten des Landes zählte. Eine Reihe gepolsterter Stühle, die in den Ecken von Zweiergruppen bequemer Sessel unterbrochen wurde, zog sich an den holzgetäfelten Wänden entlang. Und das livrierte Personal, das bei diesem aufwendigen Fest von einem guten Dutzend zusätzlich engagierter Bediensteter verstärkt wurde, sorgte unter den scharfen Augen des Hausdieners Ewald Heidkamp und seiner Ehefrau, der Köchin Martha, dafür, dass der Nachschub an Champagner, Punsch und anderen Getränken nicht versiegte und dass das kunstvoll arrangierte Büffet stets dazu einlud, sich noch einen weiteren köstlichen Happen zu gönnen.

Auch in dieser Silvesternacht des Jahres 1888 würde der Ball bei Brüggemanns ein glänzender Erfolg sein und hinterher noch wochenlang für angenehmen Gesprächsstoff sorgen, das stand schon fest, noch bevor die Kapelle zum ersten Tanz aufspielte und Lena sich am Arm von Alexander Wallenrodt auf das Parkett führen ließ.

»Habe ich Ihnen schon gesagt, wie hinreizend Ihnen dieses jadegrüne Seidenkleid zu Gesicht steht, Lena?«, fragte er leise und mit bewunderndem Blick, als er ihre Hand ergriff und mit ihr den Takt der Musik aufnahm.

»Ja, aber erst zweimal«, antwortete sie mit trockenem Spott und dachte daran, dass ihre Tanzkarte vom Anfang bis zum Ende mit seinem Namen übersät war.

Er lachte sie unbekümmert an. »Dreimal ist ja auch das Minimum, Lena.« Er liebte es, bei jeder Gelegenheit ihren Namen auszusprechen, was sie bei allen Vorbehalten ihm gegenüber wieder recht rührend fand. »Alles andere wäre eine unverzeihliche Missachtung Ihrer betörenden Anmut.«

»Wenn Sie mich dazu bringen wollen, dass ich erröte und aus dem Takt komme, machen Sie nur weiter so«, sagte Lena halb scherzhaft, halb im Ernst. Denn sein Charme und seine Komplimente schmeichelten ihr durchaus. »Also passen Sie auf, was Sie sagen, Alexander!«

»Ich fürchte, Sie werden auf mich aufpassen müssen, Lena«, erwiderte er mit scheinbar besorgter Miene.

Sie runzelte leicht die Stirn. »Wie darf ich das verstehen?«

Er beugte sich vor und raunte ihr zu: »Sehen Sie denn nicht, dass uns die Blicke der Männer auf Schritt und Tritt folgen? Vor allem die der Junggesellen? Und während sie sich bei Ihrem zauberhaften Anblick verklären, werden sie zu purem Gift und scharfen Dolchen, wenn sie an mir haften bleiben.«

»Alexander!«

»Doch, glauben Sie mir!«, beteuerte er mit theatralischem Ernst. »Ich sage Ihnen, ich schwebe heute in höchster Gefahr.



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