Das Schlossgespinst by Hess Hans-Henner

Das Schlossgespinst by Hess Hans-Henner

Autor:Hess, Hans-Henner [Hess, Hans-Henner]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783832188948
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2016-01-11T16:00:00+00:00


VI Ein Hundstag

Während Astrid Kemmerzehl die Nacht über im Polizeigewahrsam schmorte, bekam auch der Fickel kaum ein Auge zu. Nicht etwa wegen der im Gebälk des alten Hauses gespeicherten Hitze oder weil er sich Sorgen um seine Altersvorsorge machte, auch nicht aufgrund von Liebeskummer, Bluthochdruck oder irgendeinem anderen triftigen Grund, der Männer in seiner Lebensphase um den Schlaf bringt. Schuld an allem war allein Erich.

Zunächst hatte Frau Schmidtkonz kategorisch erklärt: »Keine Tiere in meinem Haus!«, und sich sogar auf den Mietvertrag berufen, aber als sie des Chihuahuas mit den süßen Knopfaugen ansichtig wurde, wurde ihr Vermieterinnenherz plötzlich weich, und sie machte großzügig eine Ausnahme. Doch kaum hatte der Fickel es sich in seinem Sessel gemütlich gemacht, ging das Spektakel los. Erich fing plötzlich an zu jaulen und zu winseln. Zunächst dachte der Fickel, der Hund leide unter Heimweh, aber als der Knirps zur Tür ging und sogar mit einer Pfote kratzte, fiel ihm ein, dass man mit so einem Hund vor der Nachtruhe ja mal Gassi gehen könnte. Das erwies sich als eine gute Idee, denn Erich litt offenbar an einer Magen-Darm-Überproduktion. Interessant, wie so ein kleiner Hund solch ein Riesengeschäft fertigbringt!

Aber als Erich auch nach anderthalb Stunden immer noch nicht nach Hause wollte und stets einen neuen Baum fand, den er benetzen musste, wurde es dem Fickel zu bunt, und er nahm ihn kurzerhand am Kragen und »schleppte« ihn in die Wohnung. Das hätte er lieber nicht getan, denn bis man einen Teppich so gründlich gereinigt hat, dass es die Vermieterin am nächsten Tag möglichst nicht mitbekommt, das kann dauern. Aber merkwürdig: Der Teppich roch im Prinzip genauso wie neulich der Recknagel bei der Beach Party. Und als der Fickel sich endlich zur wohlverdienten Nachtruhe begeben wollte, stand der Chihuahua plötzlich mit eingezogenem Schwanz in seinem Zimmer und zitterte am ganzen Leib. Was so ein kleines Stück Roulade alles anrichten kann!

Da der Fickel jetzt ernstliche Sorge hegte, Astrid Kemmerzehl bei ihrem Wiedersehen mit einer traurigen Nachricht unter die Augen treten zu müssen, rief er kurz nach Mitternacht beim Veterinärnotdienst an. Es stellte sich heraus, dass Erich aufgrund der ganzen Geschäftemacherei einfach komplett dehydriert war. Nachdem der Fickel seinem Gasthund die Hälfte von dessen Körpergewicht in Wasserform zugeführt hatte, konnte er endlich drei komplette Stunden durchschlafen. Gegen halb fünf machte Erich jedoch eindringlich klar, dass nun ein günstiger Zeitpunkt war, all das zugeführte Wasser wieder loszuwerden.

Immerhin verdankte der Fickel seiner guten Tat, einem darbenden Tier etwas zu fressen gegeben zu haben, die überaus inspirierende Erfahrung, das Meininger Nachtleben genießen und den Sonnenaufgang über dem Drachenberg live mitverfolgen zu können. Normalerweise war er vom Biorhythmus her eher der Typ für die untergehende Sonne. Aber erstaunlicherweise war er nicht der Einzige, der um diese unmögliche Zeit auf der Straße unterwegs war. Ein vereinzeltes Liebespaar zog giggelnd und schäkernd über den Marktplatz, ein glücklicher junger Vater schob gähnend einen Kinderwagen mit plärrendem Inhalt durch die Anton-Ulrich-Straße, und an der Werra war schon eine ältere Dame mit ihrem Grauhaardackel unterwegs. Im Übrigen für den



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