Das Phantom by Gulik

Das Phantom by Gulik

Autor:Gulik
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-02-04T05:00:00+00:00


Zwölftes Kapitel

Richter Di fand seine Erste und seine Dritte Dame im Boudoir der ersteren. Er schilderte ihnen kurz das Gespräch mit dem alten Präfekten. »Frau Wus Besuch muß mit Fräulein Jades Verschwinden zusammenhängen. Ich würde sie gern persönlich empfangen, aber sie wird natürlich nicht mit mir sprechen. Trotzdem sollte ich sie sehen, um mir ein Bild von ihr machen zu können …« Er zupfte verdrießlich an seinem Backenbart.

Die Erste Dame wandte sich rasch an die Dritte und fragte: »Könnten Sie Frau Wu nicht irgendwo in Ihrer Wohnung empfangen, wo unser Gemahl sie hören und sehen kann, ohne daß sie etwas von seiner Anwesenheit merkt?« Nach altem Brauch hatte Richter Di jeder seiner drei Frauen eine getrennte Wohnung mit eigener Küche und eigenen Dienstmädchen zugeteilt. Obwohl die Zweite und die Dritte Dame nach Belieben in der Wohnung der Ersten im Hauptgebäude der Residenz ein und aus gingen, kam diese niemals zu ihnen. Richter Di hielt streng an dieser althergebrachten Sitte fest, wohl wissend, daß sie die beste Garantie für einen friedlichen und harmonischen Haushalt bot.

»Nun«, sagte die Dritte Dame langsam zum Richter, »wie Sie wissen, ist die Mondtür, die mein Schlafzimmer vom Wohnraum trennt, mit einem Vorhang aus dünner Gaze versehen. Wenn ich meinen Gast in der Nähe des Fensters Platz nehmen ließe und Sie im Schlafzimmer hinter dem Vorhang stünden, könnten Sie …«

»Hervorragende Idee!« rief der Richter aus. »Gehen wir!«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte die Dritte Dame, »bringe ich Sie durch die Hintertür hinein, damit die Dienstmädchen Sie nicht sehen. Sie könnten Frau Wu sonst aus Versehen verraten, daß Sie bei mir sind.«

»Sehr gut«, sagte die Erste Dame beifällig. »Viel Glück!«

Der Richter folgte seiner Dritten Dame nach draußen und über den gewundenen Gartenweg zu ihrer Wohnung, die etwas abseits im hinteren Teil der Residenz lag. Als sie die Tür zu ihrem Wohnzimmer öffnete, um ihn einzulassen, sagte er rasch: »Bringen Sie sie dazu, ein wenig über Fräulein Jade zu reden. Sie ist nämlich Wus zweite Frau.«

»Das ist alles so aufregend!« flüsterte sie, indem sie seine Hand drückte. »Sehen Sie, ich werde sie auf diesem Stuhl, gegenüber der Mondtür, Platz nehmen lassen!«

Der Richter ging in den Schlafraum weiter und zupfte den Gazevorhang sorgfältig hinter sich zurecht. Das Zimmer lag im Halbdunkel, denn die Läden waren geschlossen, um die Hitze draußen zu halten. Während er sich auf den Rand des breiten Bettes setzte, hörte er seine Frau in die Hände klatschen. Sie sagte zu dem Mädchen, es könne gehen, sobald es die Besucherin hereingeführt habe; um den Tee würde sie sich selber kümmern.

Richter Di nickte zufrieden. Sie war eine kluge Frau. Und sie hatte einen ausgezeichneten Geschmack. Er betrachtete anerkennend das anmutige Blumenarrangement auf dem Teetisch. Jedesmal, wenn er hierher kam, entdeckte er etwas Neues: an der Wand ein Gedicht, das sie geschrieben hatte, oder auf dem Tisch ein von ihr selbst gemaltes Bild, oder eine delikate Stickerei. Sie war glücklich, sich ihren künstlerischen Interessen widmen zu können, und liebte es, die Kinder zu unterrichten. Ihr Vater, ein harter, egoistischer Mann,



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