Das Netz: Roman (German Edition) by Wolfgang Hohlbein

Das Netz: Roman (German Edition) by Wolfgang Hohlbein

Autor:Wolfgang Hohlbein [Hohlbein, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-02-19T05:00:00+00:00


16. Kapitel

Er konnte nicht leugnen, dass ihn die Stadt faszinierte. Aber jetzt war er ein Eindringling hier, ein Störenfried, der hier nicht hingehörte, egal, auf welcher Ebene er auch immer in Berlin eindrang. Ein Teil von ihm kam sich wie ein Außenstehender vor, wie ein Gast in einer Welt, in die er eigentlich nicht gehörte, und genauso war es im Grunde genommen ja auch. Die Mauer zwischen ihm und seiner Außenwelt stand, und zwar nicht deshalb, weil er sich verwandelt hatte in die Kopie eines körperbewussten, braungebrannten Typs mit breiten Schultern und durchtrainierten Armen und Beinen, eine Karikatur, eine Anspielung auf ein Modeideal in Form eines vollkommen nichtssagenden, austauschbaren Mannes, der den Einflüsterungen seiner Umwelt total erlegen war. Nein, der Grund lag wesentlich tiefer: Er war jetzt auf sich allein gestellt, und ihm gegenüber stand die Normalität, das alltägliche Auf und Ab in den Wogen des Citylebens, die Art von Existenz, die ihn über Jahre geprägt hatte und die jetzt einer fernen Vergangenheit anzugehören schien.

Hierherzukommen war ein fester Entschluss gewesen. Ein Entschluss, der ihm das Tor zu einem neuen, sinnerfüllten Leben öffnete oder ihn aber direkt in die Hölle des Wahnsinns führen würde. Er schickte seine Fühler ins Netz aus, vorbei an den hektisch blickenden Neons und aufgescheuchten Avataren. Es war wie eine Reise durch einen aufgewühlten Flussuntergrund, tief unter dem Wasser, der Strömung entgegen. Es gab dunkle, aufgewühlte Stellen, in die er keinen Einblick bekam, Blasen, in denen sich alles mögliche Krankhafte verbergen mochte, aber auch automatische Überwachungseinheiten ähnlich früheren Radarfallen, die darauf achteten, dass sich niemand zu schnell im Netz bewegte, nicht mehr Bandbreite benutzte, als ihm zustand. Er wich diesen dunklen Blasen aus, auch den bunten Fischen der Neons und Avatare, die ihn verlocken und mit sich zu ziehen trachteten, und er versuchte, entgegen der Strömung möglichst schnell voranzukommen.

Sein Geist versank in einem Mahlstrom, wirbelte durch zwei Wirklichkeitsebenen zur gleichen Zeit, zerbrach in zwei Hälften, als sei er auf einem Felsen aufgeschlagen und als würde sein Gehirn jetzt durch das Wasser spritzen. Er stöhnte auf; seine Hände schlossen und öffneten sich krampfhaft. Gabriel wurde flau im Magen, und er hoffte, dass man ihm das nicht ansah. Er spürte, wie es in seinem Gesicht zuckte, und er bemühte sich um einen passenden Gesichtsausdruck. Wenn er nur gewusst hätte, welches der passende war, zu welcher Realität passend, zu welchem Teil seines Ichs, zu welcher Außenwelt? Vor seinem inneren Auge sah er die leuchtenden Kugelfische, die Unterwasserpolizei. Und beinahe hätte er laut aufgelacht bei der Vorstellung an all das Gift, das Kugelfische auf irgendeiner anderen Wirklichkeitsstufe in sich trugen.

In der wirklichen Welt bewegte er sich einfach vorwärts, und auf einer anderen Ebene fühlte er sich in Kristinas Wohnung ein, spürte die feste Struktur der Wände, Fenster und Türen und die Energie, die in Leitern durch die Wände transportiert und in allerlei elektronisches Gerät geführt wurde, sich dort verwandelte, andere oder gleiche Wege wieder zurücknahm. Kristinas Wohnung war ein lebender Organismus, und er fragte sich, wie es ihm bislang hatte entgehen



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