Das Netz der Sterne by Andreas Brandhorst
Autor:Andreas Brandhorst
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Science Fiction
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2019-12-01T23:00:00+00:00
60
Die große Doppeltür des Haupteingangs erwies sich als verriegelt, aber einer der Nebeneingänge – die kleine Tür, durch die Tess und ihre beiden jüngeren Brüder Asgard und Trenkor manchmal nach draußen geschlüpft waren – reagierte auf den Berechtigungscode des Signalbands und öffnete sich.
Sie betraten einen stillen Flur, in dem die Nacht Gewicht und Substanz zu bekommen schien. Es roch nach kaltem Staub und Vergessen. Das Licht von Zaras Lampe strich über alte Möbel, das braune Holz so dunkel, dass es fast so schwarz wirkte wie das Obsidian. Tess strich mit den Fingerkuppen darüber, die Spuren im Staub hinterließen.
»Auch dies ist neu«, sagte sie. »Mein Traum hörte am Ufer des Obsidians auf.« Sie deutete auf eine Truhe. »Als ich klein war, erschien mir der Flur breit und lang und die Truhe riesengroß – ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um darüber hinwegzusehen.«
»Hier habt ihr gelebt?« Zara öffnete eine der Türen und leuchtete in einen Vorratsraum mit leeren Regalen und leeren Schränken.
»Meine Geschwister und ich sind hier aufgewachsen.« Tess deutete zu einer Treppe, die sich am Rand des Lampenscheins abzeichnete. »Unsere Zimmer befinden sich oben.«
Während sie die Stufen erklommen, umgeben von Stille, fuhr Tess fort: »Dies war das letzte Anwesen unserer Familie auf Rosengarten. Mein Großvater Frederik Ibrahim Velazca und seine Frau Esmeralda, die letzten terranischen Velazcas, besaßen viel mehr auf der Erde, einige Archipele am Äquator und tief im Süden, bei Antarktika, außerdem mehrere Industriestädte auf dem Mond und auf dem Mars. Aber falsche wirtschaftliche Entscheidungen und politische Auseinandersetzungen führten zum Niedergang der terranischen Velazca-Dynastie.«
»Politische Auseinandersetzungen? Mit dem Neuen Republikanischen Konzil und Interkosmika?«
»Vor allem mit Interkosmika, glaube ich.« Tess blieb am oberen Ende der Treppe stehen, lauschte für einen Moment der Stille und glaubte, in ihr Stimmen aus der Vergangenheit zu hören: ein Lachen von ihrer größeren Schwester Anita; Asgard und Trenkor, die irgendwo im Dunkel der Jahre leise miteinander stritten; ihr Vater Solomar, der mit strenger Miene Vernunft verlangte; ihre Mutter Amandea, die mit klarer, heller Stimme für Tess und die Brüder sang, bevor die Drehwurm-Infektion ihr Lieder und Kraft nahm. »Hier auf Rosengarten ging der Niedergang weiter. Wir haben ein Anwesen nach dem anderen verloren, bis uns schließlich nur noch das hier blieb.«
»Ihr hattet Schulden«, sagte Zara. »Anita hat mir davon erzählt. Ein gerichtlich sanktioniertes Obligat. Sie musste sich bei Interkosmika verpflichten, damit ihr dieses Haus behalten konntet.«
»Ja, und dann ist sie abtrünnig geworden.« Es klang zu scharf. Sanfter fügte Tess hinzu: »Ihre Abtrünnigkeit hat mich gezwungen, in den Dienst von Interkosmika zu treten.«
»Wir haben schon darüber gesprochen, was mit ›abtrünnig‹ wirklich gemeint ist«, sagte Zara. »Auch Worte sind Waffen, Tess.« Sie deutete in die Runde. »Ihr seid reich gewesen, aber Interkosmika hat euch ruiniert. Ob arm oder reich, Interkosmika frisst alle. Ich frage mich, wie die Situation jetzt aussieht, nach fünfundzwanzig Jahren.«
»Vielleicht weiß Ida inzwischen darüber Bescheid und kann es uns sagen, wenn wir zurückkehren.« Tess ging einige Meter durch den Flur. »Das war mein Zimmer.«
Sie öffnete die Tür und sah nur tiefe Schatten, bis Zara kam und mit der Stablampe leuchtete.
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