Das Nest: Roman (German Edition) by Cynthia D'Aprix Sweeney
Autor:Cynthia D'Aprix Sweeney [Sweeney, Cynthia D'Aprix]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Foreign Languages, German, Roman, Familienroman, Familiengeschichte, Geschwister, New York, Brooklyn, Geld, Erbe, Lebensentwürfe, Familie, Kinder, Liebe
Amazon: B01F3AVWK8
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2016-10-28T17:00:00+00:00
19
Trotz der Kälte war Melody hinterm Steuer ihres parkenden Autos eingeschlafen. Sie träumte von ihren Babys; wie beruhigend es sich anfühlte, sie an ihrer Brust, auf dem Schoß, in den Armen zu spüren. Tock, tock! Tock, tock! Im Traum klopfte jemand gegen ein Fenster. Tock! Tock! Melody schreckte aus dem Schlaf auf und wich peinlich berührt zurück, als draußen zwei Gestalten mit grinsenden Gesichtern an die Scheibe kamen.
»Ist noch zu früh zum Schlafengehen!«, sagte die eine. Melody unterdrückte ein Stöhnen und versuchte zu lächeln. Es war Jane Hamilton, noch eine Mutter aus der Schule, sie lachte, als hätte sie gerade den lustigsten Witz aller Zeiten erzählt. Das konnte Melody jetzt gar nicht gebrauchen.
»Spar dir dein Disco-Nickerchen lieber fürs Wochenende auf!«, sagte die andere. Melody konnte sich ihren Namen nicht merken, sie hatte so komisch geschnittene lockige Haare und sah aus wie ein Pudel. Jane und der Pudel gehörten zu einer Clique (anfangs hatte sie das Wort nur ungern benutzt, aber erstaunlicherweise gab es keine andere Bezeichnung, die den sozialen Verhältnissen der Eltern von Schulkindern gerecht wurde), die Melody gelegentlich zu einem monatlich stattfindenden Mütterabend einlud, normalerweise bei einer von ihnen zu Hause (dann ging Melody hin, weil die Drinks umsonst waren), manchmal aber auch in einer Bar (dann ging sie nicht hin und hoffte, dass es niemandem auffiel). Alle soffen sie Chardonnay, und die Gespräche verwandelten sich jedes Mal in weinseliges Gekreische über Sex und dass die Männer ja dauernd wollten, und am Ende tauschte man Tipps für Blowjobs aus.
Melody wollte von niemandem wissen, wie sein Sexleben aussah, schon gar nicht von betrunkenen Vorstadtmüttern, die für ihre Männer – und ihre Kinder – offenbar nicht allzu viel übrig hatten. Abgesehen davon, dass sie das alles ziemlich unpassend fand (und schrecklich, so würde sie nie über Walt sprechen, und sie würde auch nie so über ihn denken), hatte sie das Gefühl, dass die Frauen mit Absicht so geistlos und nervtötend waren. Melody saß meistens schweigend daneben, lachte manchmal mit, wenn alle anderen lachten, oder nickte bei harmlosen Bemerkungen über die Schule: dass die Kinder zu viele Hausaufgaben bekämen, dass die stellvertretende Direktorin eine Zicke sei und der Englischlehrer der elften Klasse sexy, aber bestimmt schwul.
Melody zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, nahm ihre Handtasche und öffnete die Tür. Draußen wehte ein kalter Winterwind.
»Wir haben dich bei der Versammlung vermisst«, sagte der Pudel.
»Was für eine Versammlung?«, fragte Melody alarmiert. Sie verpasste nie eine Schulversammlung.
»Ah, das betrifft sie doch gar nicht«, sagte Jane. »War außerdem langweilig.«
»Extrem langweilig«, sagte der Pudel.
»Was für eine Versammlung?«
»Wegen der Förderung«, sagte Jane. »Die Formulare, die Anforderungen, bla, bla, bla.«
Oh. Mit einem flauen Gefühl im Magen fiel Melody ein, dass sie Ende letzten Sommers zwar brav alle Elterntermine vom Kalender der Collegeberatung in ihren eigenen übertragen hatte, aber die Workshops über finanzielle Förderung großspurig ignoriert hatte. Wie hatte sich das Blatt so schnell wenden können? Und warum hatte sie nicht früher daran gedacht?
»Schade«, sagte Melody. »Ich wollte eigentlich kommen. Sind die Informationen online?«
»Ich dachte, ihr hättet vorgesorgt«, sagte Jane.
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