Das Lied des Kolibris by Ana Veloso

Das Lied des Kolibris by Ana Veloso

Autor:Ana Veloso [Veloso, Ana]
Die sprache: de
Format: mobi
ISBN: 9783426412145
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2011-10-04T22:00:00+00:00


26

Die Familie Oliveira saß bei einem späten Frühstück. Luas Flucht hatte sie alle bestürzt, und die ohnehin schon schwelenden Unstimmigkeiten schlugen langsam in offenen Hass um.

»Ihr seid schuld!«, heulte Eulália. Sie starrte ihre Eltern wütend an. »Wenn Ihr nicht so gefühllos gewesen wäret, und vor allem so geschmacklos, dann wäre das alles nicht passiert. Wo sind wir denn hier? Wollt Ihr mit all den Fazendeiros in einen Topf geworfen werden, die ihre Neger züchten, als seien es Kühe? Das ist widerlich!«

»Mäßige dich, Kind!« Dom Felipe erkannte wohl, dass ein Funken Wahrheit in dem lag, was seine Tochter sagte. Aber um nichts in der Welt hätte er das zugegeben. »Lua ist eine Sklavin, eine Handelsware, mehr nicht. Dass du sie behandelt hast wie deinesgleichen, das hat sie erst auf dumme Gedanken gebracht. Du hättest dir besser ein Hündchen zugelegt, um es zu hätscheln.«

Carlos, der älteste Bruder, war ebenfalls zugegen. Gelegentlich musste er sich ja auf São Fidélio blicken lassen, wenn er weiter von der Großzügigkeit seiner Eltern profitieren wollte. Er fand die ganze Diskussion vollkommen überflüssig und stimmte seinem Vater in jeder Hinsicht zu. Allerdings mischte er sich so wenig wie möglich ein. Je mehr Zwistigkeiten hier ausgetragen wurden, desto weniger würde man ihn mit lästigen Fragen behelligen. Seine Mutter warf ihm eh schon immer forschende Blicke zu.

Dona Ines machte sich Sorgen um ihre Kinder. Carlos schien das Studium nicht so ernst zu nehmen, wie er sollte. Eulália bezeugte ihren Eltern nicht den angemessenen Respekt. Und Manuel, der kürzlich seinen 16. Geburtstag gefeiert hatte, war viel zu ernst für einen Jüngling seines Alters. Er hätte sich mehr für Mädchen interessieren müssen und weniger fürs Geschäftliche. Was hatte sie bloß falsch gemacht bei der Erziehung ihrer drei geliebten Sprösslinge? Ach was, schüttelte sie den unangenehmen Gedanken ab, alle drei waren gesund, hübsch und wohlgeraten – besser jedenfalls als die meisten Kinder der Nachbarn. Es lag nur am Überschwang der Jugend, eines Tages würde sich das alles verwachsen.

Sie schrak aus ihren Überlegungen hoch, als das Gespräch um sie herum verstummte. Alle sahen aus dem Fenster.

»Wer mag das sein?«, fragte sie. Es kam nicht oft unangekündigter Besuch, und die Kutsche war ihnen allen unbekannt.

»Nein!«, rief Eulália, die zuerst gesehen hatte, wer da in Handfesseln aus dem Wagen gestoßen wurde. »Lua!« Sie raffte ihre Röcke und rannte nach draußen. Die anderen Familienmitglieder folgten ihr gemessenen Schrittes.

»Hab hier eine Fundsache für Euch, mit besten Grüßen von der Frau Oberin vom Benediktinerkloster«, sagte der Fahrer. »Sie hat mir auch einen Brief für Euch mitgegeben.« Er entnahm seiner Manteltasche einen Umschlag und reichte ihn Dom Felipe.

Dieser drückte ihm eine Münze in die Hand und bedankte sich. »Geh rüber zum Stall. Da geben sie dir und deinem Gaul zu fressen und zu saufen. Danach komm her und hol meine Antwort ab.«

Der schwarze Kutscher ließ sich das nicht zweimal sagen. Die ganze weiße Familie samt Weibern vor sich zu sehen war ihm nicht geheuer. Was machten die nur für ein Aufhebens um ein blödes Negermädchen?

Lua stand mit gebeugtem Haupt vor den Oliveiras.



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