Das letzte Relikt by Robert Masello

Das letzte Relikt by Robert Masello

Autor:Robert Masello
Die sprache: de
Format: mobi
ISBN: 9783104007717
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2011-09-29T22:00:00+00:00


21. Kapitel

Die Nacht wurde zu seinem Freund. Es war so viel einfacher, sich nachts durch die Straßen zu bewegen, im Schein der Lampen, die alles und jeden leicht unwirklich wirken ließen. Wie ein Nebelschleier konnte er sich zwischen den Menschen bewegen und unbemerkt ihre Tausende Gerüche, Stimmen und Gestalten in sich aufnehmen. Er konnte ihre Parfums einatmen, ihnen in die Augen blicken, sogar ihre Körper streifen, ihre Haut und die Beschaffenheit ihrer Kleider erspüren. Er ging dorthin, wo die Straßen voll waren, um die Luft einzuatmen, die sie ausatmeten, ihnen zuzuhören, wenn sie sprachen – hundert verschiedene Zungen, die alle zur gleichen Zeit zu sprechen schienen – und die Geheimnisse ihrer Herzen und Seelen zu erforschen.

Und darin lag, wie er spürte, wenig Überraschendes. Und ein gewisser Trost. Er hatte sich damals also doch nicht geirrt, vor so langer Zeit … und er irrte auch jetzt nicht.

Aber alles andere hatte sich so sehr verändert.

Er hatte bereits den Namen des Ortes erfahren, den er nun bewohnte, und er hatte herausgefunden, welche Rolle er in der gegenwärtigen Welt einnahm. Hätte der Ort seiner Rückkehr weiser ausgewählt worden sein können? Gab es irgendeine andere Stelle auf der Erde, wo er so leicht beginnen könnte? Das war keine göttliche Vorsehung, o nein, das ganz gewiss nicht, aber es kam dem sehr nahe. Etwas war in Bewegung gesetzt worden. Ein Plan, den selbst er, bei all seiner Weisheit und all seinem Wissen, nicht vollständig erfasste.

Manche Straßen, gewisse Ecken kannte er inzwischen besser als andere, und oft ertappte er sich dabei, dass er immer wieder dorthin zurückkehrte. Gleich einem Wolf, der die Pfade verfolgt, auf denen er bereits erfolgreich gejagt hat. Wenn er aus der Dunkelheit seines Schlupfwinkels heraustrat, einem Ort aus zersplittertem Holz und zerbröckelnden Steinen, an dem er das leise Echo von Gebrechen und Krankheit vernahm, schritt er oft diese vertrauten Pfade entlang. Hier, zum Beispiel, war der Ort, zu dem der verbrannte Mann gebracht worden war … hier hatte er aus dem Schatten die lodernden Flammen beobachtet … und an dieser Stelle, die jetzt geschwärzt und verlassen dalag, war er auf die Welt zurückgekehrt. Hier gab es Antworten, o ja, so viel wusste er, aber er wusste noch nicht, in wessen Brust sich diese Antworten verborgen hielten.

Er wollte es wissen. Es war seine ureigenste Bestimmung zu wissen.

Im Lichtkreis, der von einer Straßenlaterne auf den nassen glänzenden Gehweg geworfen wurde, sah er jemanden auf und ab schreiten. Es war dieselbe Person, die er in jener Nacht getroffen hatte, als er aus dem Inferno getreten war. Diejenige, die ihm den roten Mantel gegeben hatte, den er noch immer trug.

Als er sich näherte, blieb die Gestalt stehen und starrte ihn ehrfürchtig an. War es so offensichtlich, was er war? Das wollte er nicht. Er wollte, dass die Dinge so waren, wie sie vor langer Zeit gewesen waren … bevor sich alles auf so schreckliche Art und Weise aufgelöst hatte.

Je näher er kam, desto mehr schien die Gestalt an Ort und Stelle festzuwachsen. Dunkle Haut, langes Haar, die Gesichtszüge verdeckt durch Farbe und Schlamm, Saft und Staub.



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