Das letzte Einhorn by Peter S. Beagle

Das letzte Einhorn by Peter S. Beagle

Autor:Peter S. Beagle [Beagle, Peter S.]
Die sprache: eng
Format: epub
veröffentlicht: 2013-04-17T04:00:00+00:00


Die Wächter erspähten sie kurz vor Sonnenuntergang als das Meer bewegungslos und blendend dalag. Sie patrouillierten auf dem zweitgrößten der vielen Türme, die krumm und schief dem Schloss entsprossen und es aussehen ließen wie einen Baum, dessen Wurzeln in die Luft wachsen. Die beiden Männer konnten von hier oben das gesamte Tal von Hagsgate überblicken: die Stadt und die kahlen Hügel dahinter, bis hin zur Straße, die vom Talrand her zu dem mächtigen, doch verfallenden Schloßtor führte.

»Ein Mann und zwei Frauen«, meldete der eine Wächter. Er lief hinüber auf die andere Seite des Turmes – eine schwindelerregende Bewegung, denn der Turm neigte sich so stark, dass der halbe Horizont des Postens aus Meer bestand. Das Schloss saß an der Kante eines Kliffs, das steil und glatt wie eine Messerschneide abfiel; drunten lag ein schmaler, blasser Strand mit eingesprengten grünen und schwarzen Felsen. Bauschige Vögel hockten auf diesen Felsen, kreischten »sagteso, sagteso«. Der andere Wächter folgte seinem Kameraden mit gemächlichem Schritt. Er sagte: »Ein Mann und eine Frau. Die Gestalt in dem Mantel, ich bin mir ihrer nicht sicher.« Beide Wächter trugen selbstgemachte Kettenhemden: eiserne Ringe, Flaschenverschlüsse und Kettenglieder auf halbgegerbte Häute genäht; ihre Gesichter waren hinter rostigen Visieren verborgen. Die Stimme des zweiten Postens und seine Haltung kennzeichneten ihn als den Älteren. »Die in dem schwarzen Mantel«, wiederholte er, »sei dir ihrer nicht zu schnell zu sicher.«

Sein Kamerad beugte sich weit hinaus in den orangenen Glanz des kopfstehenden Meeres, wobei er sich an der Brustwehr einige Bolzen von seiner armseligen Rüstung riss. »Es ist eine Frau!« rief er. »Ich würde eher mein eigenes Geschlecht bezweifeln als das ihre!«

»Daran tätest du gut«, versetzte der andere höhnisch, »denn außer im Herrensitz zu reiten, tust du nichts, was einem Manne ziemt. Ich sage dir noch mal: nenne diese dritte Gestalt nicht vorschnell Mann oder Frau. Warte, wart’ ab, was du siehst.«

Der erste Wächter erwiderte, ohne sich umzudrehen: »Wäre ich aufgewachsen, ohne je zu träumen, dass es auf dieser Erde zwei voneinander getrennte Geheimnisse gibt, hätte ich jede Frau, die ich je getroffen, als meinesgleichen betrachtet – dennoch wüsste ich, dass dieses Wesen sich von allen unterscheidet, die ich bisher gesehn! Es hat mich immer gegrämt, dass ich dir missfiel, aber jetzt, wo ich sie sehe, grämt es mich, dass ich mir immer selbst missfallen habe. o, wie grämt mich das!« Er beugte sich noch weiter über die Brüstung, starrte sich die Augen aus dem Kopf, um die drei langsam nahenden Gestalten besser zu sehen. Ein Lachen rasselte hinter seinem Visier. »Die andere Frau sieht lahm und übellaunig aus«, berichtete er. »Der Mann scheint ein umgänglicher Kerl zu sein, obschon er ganz offensichtlich zum fahrenden Volk gehört. Ein Spielmann, will mir scheinen, oder ein Spieler.« Er schwieg geraume Zeit, beobachtete die drei Herankommenden.

»Und die dritte?« erkundigte sich der Ältere. »Deine Königin der Nacht mit dem bemerkenswerten Haar? Bist du ihrer in dieser Viertelstunde schon überdrüssig geworden? Hast du schon tiefer in sie geblickt, als Liebe es wagt?« Seine Stimme klang in dem Helm scharrend wie kleine, klauenbewehrte Füße.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.