Das Haus der offenen Türen by Lise Gast

Das Haus der offenen Türen by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-04-21T00:00:00+00:00


Clown Murillos Nase ließ mich nicht schlafen.

Richtiger: ich schlafe überhaupt schlecht; und wenn ich wachliege und, wie üblich, alles düsterer sehe als am Tage, versuche ich, mich abzulenken, indem ich vom Schicksal meiner eigenen Leute auf das anderer überspringe. Ich vergleiche dann und komme zuletzt immer zu dem Schluß, mit niemandem tauschen zu wollen. Murillos Nase aber beschäftigte mich über Gebühr, und das lag wohl daran, daß sie mich an eine andere, jahrelang vergessene erinnerte.

Ich war in jene Nase nicht verliebt gewesen, wenigstens nicht im landläufigen Sinne. Freilich befand ich mich zu jener Zeit, als ich ihr begegnete, in dem Alter, in dem man latent verliebt ist. Fast alle Erwachsenen, wenn sie nicht gerade Jugendpsychologen sind, haben vergessen, wie einem da zumute ist. Der ganze junge Mensch glüht dann vor Verliebtheit, die gar keinen Gegenstand braucht, er brennt, er lodert, und kommt dann einer in seine nähere Umgebung, so springen die Funken über. Es ist eine lebensgefährliche, tödlich einsame, hinreißende, bitterliche und wunderbare Zeit, diese Periode, und Dank allen Göttern oder Schutzengeln, wenn man einigermaßen unangeschlagen hindurchtaumelt. Bei mir war es unter vielem anderen diese Nase, die mich nachts nicht schlafen, tags pfeifen und trällern oder seufzen ließ — und meiner bedauernswerten Umgebung den Nerv tötete. Jetzt aber stieß die Erinnerung an diese Zeit mich an, etwas zu unternehmen. Und so suchte ich, als ich einmal sowieso in Stuttgart war, den Rechtsanwalt auf, der uns damals das Buch geschickt und der vielleicht auch eine Ahnung von Philipp Emanuels Abstammung hatte.

Erst mußte ich warten. Auf dem Tisch im Wartezimmer lagen Pferdezeitschriften, was mich sympatisch und heimlich anmutete. Ich vertiefte mich hinein und war fast enttäuscht, als Herr Doktor bitten ließ. Schön, die „Peitsche“ könnte ich auch nachher weiter ansehen.

Es ist nicht leicht, bei solcheiner etwas delikaten Sache gleich in medias res zu gehen. Der Anwalt war freundlich, aber durchaus gehalten, auch, als ich erzählte, wer ich sei und wieso ich zu seiner Bekanntschaft käme. Nein, er kenne Herrn Hottmann auch noch nicht lange, und es sei ihm leider verwehrt, nähere Auskünfte zu erteilen. Da müßte ich mich schon direkt an ihn wenden — und er gab mir die Telefonnummer von Clown Murillos derzeitiger Wohnung.

Während wir noch sprachen, klopfte es, und ohne auf ein „Herein“ zu warten, stürmte ein etwas jüngerer Mann ins Zimmer, in dem man unschwer den Bruder des Anwalts erkennen konnte.

„Du, ich mach’ zu, drüben, bei mir“, sagte er atemlos, „ich muß fort. Es ist losgegangen. Nur, damit du Bescheid weißt. Es wird wohl niemand Bedeutendes mehr kommen. Und wenn, dann vertröstest du ihn eben. Ich bin in der Klinik zu erreichen.“

„Gut, gut. Ruf an, wenn es soweit ist“, sagte der Ältere und nahm ein Schlüsselbund in Empfang. Der andere entschwand in der kopflosen Hast, die nichts anderes sieht als das Ziel.

„Das erste Kind?“ fragte ich lächelnd. Nun lächelte auch der Rechtsanwalt und war mir plötzlich nahe.

„Das fünfte.“ Stolz schwang in seinem Ton, als wäre er selbst der glückliche Vater. „Hoffentlich geht’s gut. Richtig liegen tut es wieder nicht, aber das haben die Kinder meiner Schwägerin so an sich.



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