Damals war es Friedrich by Hans Peter Richter
Autor:Hans Peter Richter [Richter, Hans Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv junior
veröffentlicht: 2012-06-22T00:00:00+00:00
Gründe
Vater kam spät von der Parteiversammlung heim. Müde schaute er zur Uhr. Zu Mutter sagte er: »Ich möchte jetzt noch nicht essen.«
Mutter schüttelte verwundert den Kopf und setzte den Topf wieder vom Feuer. Vater nahm einen Stuhl und stellte ihn auf den Flur neben die Wohnungstür. Im Schein der Flurbeleuchtung las er dort seine Zeitung.
Mutter schaute aus der Küchentür nach ihm. Mit einem Seufzer ging sie danach wieder an ihre Arbeit.
Aber Vater überflog die Zeitung sehr unaufmerksam. Jedes Mal, wenn sich im Haus etwas regte, öffnete er die Flurtür einen Spalt, um hinauszulauschen.
Das Spielen hatte ich längst aufgegeben. Vom Wohnzimmer aus verfolgte ich das seltsame Benehmen meines Vaters und überlegte, was wohl das zu bedeuten habe.
Als er den Schritt von Herrn Schneider auf der Treppe hörte, riss Vater die Wohnungstür auf. Er warf die Zeitung zu Boden und trat hinaus auf den Treppenabsatz, um Herrn Schneider abzufangen.
Herr Schneider stieg langsam die Treppe herauf. Friedrich begleitete ihn, er trug seines Vaters Tasche.
Erstaunt blickten die beiden auf meinen Vater, der ihnen den Weg versperrte.
»Herr Schneider«, sagte Vater ganz leise, »darf ich Sie einen Augenblick zu uns hereinbitten?«
Herr Schneider fragte: »Kann Friedrich mitkommen?«
Vater war einverstanden. Er führte die beiden in unser Wohnzimmer. Herrn Schneider bot er einen Platz am Fenster an, Friedrich wies er zu mir.
Friedrich und ich, wir spielten still Domino in der Ecke beim Ofen.
Vater gab Herrn Schneider eine von den guten Sonntagszigarren, er selber zündete sich eine Zigarette an. Die beiden rauchten still eine Weile vor sich hin, ehe sie begannen.
»Es fällt mir schwer, Herr Schneider«, murmelte Vater. Dann sagte er etwas lauter: »Darf ich frei und
offen reden?« Dabei blickte er Herrn Schneider voll an.
Das Gesicht von Herrn Schneider war sehr ernst geworden. Er zögerte erst. »Ich bitte darum!«, antwortete er schlieÃlich. Die Hand mit der Zigarre zitterte leicht; Aschenstäubchen schwebten auf Hose und Boden.
Schuldbewusst senkte Vater den Blick auf den Boden. Fast flüsternd teilte er Herrn Schneider mit: »Ich bin in die Partei eingetreten.«
Ebenso leise und ein wenig enttäuscht entgegnete Herr Schneider: »Ich weiÃ!«
Ãberrascht hob Vater den Kopf.
»Ihr Sohn hat es mir verraten!«, ergänzte Herr Schneider. Seine Stimme klang traurig. »Und ich konnte es mir auch denken.«
Vorwurfsvoll schaute Vater zu mir herüber. Erregt zog er an seiner Zigarette. Leise redete er weiter. »Sie müssen das verstehen, Herr Schneider, ich war lange arbeitslos. Seit Hider an der Macht ist, habe ich wieder Arbeit, bessere Arbeit, als ich erhofft hatte. Es geht uns gut.«
Begütigend versuchte Herr Schneider zu bremsen: »Sie brauchen sich wirklich nicht zu entschuldigen, wirklich nicht!«
Vater winkte mit der Hand ab: »In diesem Jahr können wir zum ersten Mal alle zusammen eine Urlaubsreise mit "Kraft durch Freude" machen. Man hat mir inzwischen schon wieder eine gute Stelle angeboten, weil ich Parteigenosse bin. Herr Schneider, ich bin Mit
glied der NSDAP geworden, weil ich glaube, dass es meiner Familie und mir zum Vorteil gereicht.«
Herr Schneider unterbrach meinen Vater: »Ich verstehe Sie sehr, sehr gut. Vielleicht - wenn ich nicht Jude wäre â vielleicht hätte ich genauso gehandelt wie Sie. Aber ich bin Jude.
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