Catwalk in den Tod by Michael Koglin

Catwalk in den Tod by Michael Koglin

Autor:Michael Koglin [Koglin, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Michael Koglin
veröffentlicht: 2013-05-23T22:00:00+00:00


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Der Kommissar lässt mich unter der Bedingung frei, ihn auf dem Laufenden zu halten. Nur, dass ich im Hauptberuf obdachlos bin, nimmt er mir nicht ab. Dass ich keinen festen Wohnsitz hätte, na schön, das komme vor, aber obdachlos? Nein, er vermute, dahinter stecke etwas »Religiöses.« Meinetwegen.

Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Hält mich womöglich für so eine Art Diogenes, dem man die Tonne geklaut hat. Dabei sind Tonnen völlig unpraktisch, da werfen die Leute während deiner Abwesenheit nur ihren Müll rein. Trotzdem ist es schön, wenn Menschen sich Geschichten erzählen.

Geschichten sind selten geworden. Haben sich aus dem Alltag auf und davon gemacht. Kein Wunder, bei dieser Hetze nach Geld und Anerkennung, nach dem großen Auto und einer großen Wohnung und »hoffentlich werde ich nicht gekündigt«.

In dem Laufrad wird den Geschichten ganz schwindlig. Die Leute, die sie erzählen könnten, sind ein klein bisschen glücklich, weil sie was geschafft haben. Und im nächsten Augenblick sofort unglücklich, weil sie Angst haben, das wieder zu verlieren. Und hast du erstmal Angst, glaubst du immer, du hast zu wenig, wirst erniedrigt, schlecht behandelt und müsstest es ganz entschieden besser haben. Und dann, dann verabschieden sich all die Geschichten. Ist ihnen zu eng geworden im Kopf. Dabei hat der Kosmos die Karten ausgeteilt und manchmal, aber nur ganz selten darf man ein paar tauschen. Ist so eine Art intergalaktisches Poker. Nur, dass hier die neuen Karten nicht gekauft werden können.

Nee, das neue Blatt kannst du nicht erbetteln und erflehen, das wird dir einfach auf den Tisch gelegt. Oder eben auf die Decke. Wenn es Zeit dafür ist. Für mich sorgt mein angebeulter Penner-Stern. Und für Maria? Für sie ist diese Partie zu Ende. Auf in die nächste Runde.

Sheila heißt mit Nachnamen nicht etwa Li oder Dao oder Hanoi oder Wundersame Nadel, nein, sie heißt Weber.

Auch an ihr haben die Flohmarkhändler oder Leiter von Karstadts Haus-Heim-Deko-Abteilung keine rechte Freude. Weiße Behandlungsliege, weißer Tisch, weißes Schränkchen. An der Wand ein Plakat mit einem nackten Menschen und lauter fiesen Linien in seinem Körper. Auf dem Tisch versprüht eine Bananenblüte ihr orangefarbenes Leuchten.

»Ich habe Sie warten lassen«, sagt Sheila und verneigt sich leicht. Der Schnitt ihres Kittels hat Ähnlichkeit mit meinem Omen-Mantel.

»Sie müssen keine Angst haben«, sagt sie.

»Sollte ich?«

»Ein wenig kann nicht schaden. Umso leichter fließt später ihre Lebensenergie, das Qi. Die hüpft dann richtig vor Freude. Wie bei einem Stausee, wenn man die Fluttore öffnet.«

»Und wenn sich Frau Qi vor lauter Freude gar nicht ins Freie traut?«

Pfirsichblüte lächelt und schreitet zur Tat.

Mit ihrem Rücken deckt sie ein Schränkchen ab und dreht sich dann mit einem Glas voller glänzender Nadeln um.

»Um Himmelswillen. Alle?«

Während Sie mir die Nadeln in den Körper dreht, passiert etwas Eigenartiges. Nämlich gar nichts. Nichts zu spüren, außer ihrer angenehm warmen Handfläche.

»Sie sind kein Modelscout«, sagt sie.

»Und Sie kein Model.«

»Ein kleines Zubrot. Die Praxis läuft schlecht. Die Leute halten ihr Geld zusammen.«

»Hier in Pöseldorf?«

«Besonders hier. Wissen Sie, was sich meine Nachbarn am meisten wünschen?«

»Freien Blick auf die Alster? Eine Motorjacht vor dem Alsterpavillon?«

»Einen Aldi- oder Lidl-Markt in der Nähe und direkt daneben ein paar Delikatessengeschäfte.



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