Blau ist die Liebe by Hanif Kureishi

Blau ist die Liebe by Hanif Kureishi

Autor:Hanif Kureishi [Kureishi, Hanif]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählung/en
ISBN: 9783104011820
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2015-12-04T23:00:00+00:00


Blue, Blue

Pictures

Früher habe ich gern über Sex geredet. Das ganze Leben – von Politik bis Ästhetik –, so dachte ich, gipfele in leidenschaftlichen Begegnungen. Eine zärtliche Geste, ein Kuss allemal, konnte dich aus deiner Sehnsucht heraus nach Russland versetzen und weiter zu Velázquez bis hin zur Anarchie. Um diese Phantasie zu untermauern, hatte ich einmal vor, ein »Buch des Begehrens« zusammenzustellen, eine Anthologie befremdlicher, melancholischer und drolliger Geschichten zu diesem Thema. Hätte ich diesen Plan verwirklicht oder mit der Arbeit auch nur angefangen, hätte ich die folgende Geschichte aufgenommen. Es ist eine sonderbare Geschichte. Eshan, der Fotograf, der sie mir erzählte, hat dieses Wort selbst benutzt. Zumindest sagte er, es sei die sonderbarste Bitte gewesen, die man je an ihn gerichtet habe. Als er in der Kneipe darauf angesprochen wurde, reagierte er zuerst mit Verlegenheit und Verwirrung. Aber natürlich war er auch fasziniert.

Am Ende der Straße, dort, wo Eshan ein winziges Büro und ein kleines dunkles Zimmer hatte, gab es einen Pub, in den er nahezu täglich zwischen halb sieben und sieben Uhr einkehrte. Er hielt sich gern an die Bürostunden, da er glaubte, dass seine Arbeit viel Disziplin verlangte, als würde er ohne Disziplin dem Wahnsinn verfallen, dabei war er dem Wahnsinn nie auch nur nahegekommen –, wenn man einmal davon absah, dass er sich in diese Kneipe setzte.

Eshan glaubte, die Routine zu mögen, und wochenlang tat er jeden Tag genau das Gleiche, verfluchte aber immer wieder dieses Versinken in Gewohnheit. Im Pub rauchte er, trank und las ein, zwei Stunden die Zeitung, je nachdem, wie er gelaunt war und ob er wegen seiner Frau und seinen zwei Kindern ein schlechtes Gewissen hatte, sentimental gestimmt oder ihnen einfach nur sehr zugetan war. Manchmal kam er nach Hause, noch ehe die Kinder schliefen, und er trug sie huckepack, spielte mit ihnen Fußball und erzählte Geschichten von Schweinen mit Spinnen auf den Schädeln. Dann wieder kam er spät, so dass er seiner Frau das Essen machen konnte, und dann bedrückte ihn nicht länger der Gedanke, dass die Kinder sein Leben verschlangen.

Es gab viele glücklose Menschen in diesem Pub: schlaftrunkene Junkies aus der nahen Rehabilitationsklinik, Arbeitslose und Langzeitarbeitslose und Dauerkicker. Eshan nickte vielen von ihnen zu, doch wenn sich jemand, ohne zu fragen, an seinen Tisch setzte, konnte er unangenehm werden. Oft schwatzte er aber mit den Leuten im Lokal und freute sich über jede ablenkende Unterhaltung, mehr als er selbst es ahnte. Mit den Jahren war er folglich zu einer kauzigen Pubgestalt geworden.

Eshan wollte Leute fotografieren, die etwas Bedeutendes geschaffen hatten, deren Arbeit »wichtig« war. Dabei handelte es sich um Philosophen, Autoren, Maler, Filmemacher und Theaterregisseure. Er benutzte kaum Requisiten – nur einen grauen Vorhang – und hartes, direktes Licht. Dabei sollte nichts verborgen, sondern etwas bloßgestellt werden. Der Betrachter konnte das Gesicht mit der Tätigkeit des Fotografierten verbinden. Eshan nannte seine Bilder die Augenblicke der Wahrheit in den Zügen jener Menschen, die die Wahrheit suchten.

Er fotografierte Künstler und hielt sich insgeheim selbst für »eine Art« Künstler. Sich zu porträtieren –



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