Bist du glücklich? by Kai Hensel

Bist du glücklich? by Kai Hensel

Autor:Kai Hensel [Hensel, Kai]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
Herausgeber: Hoffmann und Campe
veröffentlicht: 2018-08-25T16:00:00+00:00


1.33 Uhr

»Ich habe weitere Level programmiert«, sagte Patrick. »David war süchtig nach dem Spiel.«

David programmierte weitere Level. Grob, ohne Schatten, ohne Ton. Meist spielten sie in engen, verschlossenen Räumen, oft ging es um Gefangenschaft. Manchmal auch um Bewegung, im Kreis oder in die Tiefe. Um Widerstand gegen Kräfte der Lähmung. Jedes Level fühlte sich neu an, setzte in Patricks Kopf neue Gedanken und Gefühle frei. Er ließ in dieser Zeit öfter seinen Wagen stehen – noch nicht den Mercedes, sondern seinen alten Golf GTI. Er fuhr Bus und U-Bahn. Sah die Menschen auf den Bahnsteigen stehen, in den Abteilen sitzen. Viele waren schweigend über ihre Smartphones gebeugt, sie wischten und tippten. Wonach suchten sie? Worauf hofften sie? Freiheit? Macht? Liebe? Geld? War nicht alles miteinander verbunden? In der U-Bahn wurde ihm klar, dass er das Spiel auf den Markt bringen wollte. So schnell wie möglich, bevor ihm eine andere Agentur den Jungen wegschnappte. Weil es den Menschen einen klaren Blick gab auf Fragen, die überall in der Luft lagen: Wer bin ich? Wonach suche ich? Wie kann ich der Mensch sein, der ich sein möchte?

»Ich habe das Spiel Bist du glücklich? genannt. Ein abwegiger Name, viel zu lang für eine App.«

»Ich erinnere mich an die Diskussion.«

»Alle waren dagegen! Aber ich hab’s gespürt, es war die richtige Entscheidung.«

Mit jedem Schluck Espresso wurde er entspannter. Die Lügen sprudelten aus ihm heraus, gespeist von der einen großen Lüge, wie Bergquellen aus einem Gletscher. Der Name des Spiels kam, wie alles andere, von David. Sie waren darüber in Streit geraten, David hatte gedroht, die Agentur zu verlassen – mit allen Skizzen und neuen Leveln. Patrick hatte nachgeben müssen. Und David hatte recht behalten, niemand konnte sich heute einen anderen Namen für das Spiel vorstellen.

»Wie viele Apps hast du auf deinem iPhone?«, fragte er.

»Über hundert«, sagte Laura.

»Wie viele benutzt du regelmäßig?«

»Keine Ahnung. Vielleicht zwanzig.«

»Die meisten hast du runtergeladen, ein-, zweimal ausprobiert und wieder vergessen.«

Man maß dieses Verhalten mit dem sogenannten Retention-Wert. Eine Day2-Retention von vierzig bedeutete, dass vierzig von hundert Leuten, die eine App auf ihrem Telefon hatten, sie noch am nächsten Tag nutzten. Eine Day7-Retention von zwanzig war, angesichts von bald zwei Millionen Apps allein im Apple Store, ein hervorragender Wert. Weniger als ein Prozent aller Apps erreichte eine Day28-Retention von mehr als zehn Prozent.

Bist du glücklich? hatte eine Day28-Retention von vierundneunzig Prozent.

»Nach zwei Monaten hatten wir achtzigtausend Spieler. Keine Werbung, kein Marketing, nur Mundpropaganda. Neunzig Prozent spielten täglich mindestens eine halbe Stunde. Zwanzig Prozent spielten jede Nacht.«

»Was war mit David? Kam er noch in die Agentur?«

»Jeden Tag. Er wollte immer der Erste sein, der die Level spielte. Es machte ihn stolz, das Spiel gab seinem Leben Inhalt und Würde.«

Laura musste nicht wissen, dass Patrick ihm eine Wohnung gemietet hatte. Erstes Stockwerk Hinterhaus, möbliert, im Wedding. Blick auf Mülltonnen und ein Klettergerüst. Hauptsache, ruhig – David war empfindlich gegen Lärm. Patrick kaufte ihm ein MacBook, Tablet und Scanner. Außerdem einige Hantelstangen und Gewichte, die er sich wünschte. Er finanzierte ihm seinen Unterhalt, der nicht teuer war, weil David kaum etwas aß.



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