Bis zur letzten Stunde by Traudl Junge

Bis zur letzten Stunde by Traudl Junge

Autor:Traudl Junge
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783843705820
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2014-09-26T22:00:00+00:00


V.

Wir saßen wieder einmal beim Essen, es war Ende August [1944]. Hitler war sehr merkwürdig zu mir, er kam mir fast unfreundlich vor. Während der ganzen Mahlzeit richtete er nie das Wort an mich, und wenn ich seinem Blick zufällig begegnete, blickten mich seine Augen ernst und prüfend an.

Ich konnte mir gar nicht denken, was ich angestellt oder womit ich seinen Ärger hervorgerufen haben könnte. Ich zerbrach mir nicht weiter den Kopf und dachte, es wird wohl nur schlechte Laune gewesen sein.

Am gleichen Tag rief mich Fegelein an. »Kann ich heute Nachmittag zu dir zum Kaffee kommen«, fragte er. Ich wunderte mich, warum er wohl plötzlich zu mir kommen wollte, er hatte das noch nie getan, aber ich sagte zu. Die Kaffeestunde war längst vorüber, aber Fegelein erschien nicht. Schließlich klingelte wieder das Telefon. Er sagte, die Lage habe so lange gedauert und nun müsse er arbeiten, ob ich nicht schnell zu ihm hinüberkommen könnte. Na gut, dachte ich, dann kann ich gleich meinen Hund spazieren führen, und ich machte mich auf den Weg hinüber zu Fegeleins neuer Baracke, dem letzten Bau des Hauptquartiers. Fegelein begrüßte mich: »Servus, das ist aber nett, dass du kommst, magst einen Schnaps?« Nanu, dachte ich, was will er denn, ich nahm an, er wollte irgendetwas mit mir besprechen. »Nein«, sagte ich, »jetzt mag ich keinen Schnaps, aber du wolltest doch zu mir zum Kaffee kommen? Was ist los, dass du mir solche Ehre erweist, obwohl du weißt, dass ich meinem Mann treu bin?« Da kam er auf mich zu, umarmte mich väterlich und sagte: »Ich sag dir’s lieber gleich, wie’s ist: Dein Mann ist gefallen.[82] Der Chef wusste es schon seit gestern, aber er wollte erst die Bestätigung abwarten, und er konnte es dir nicht selbst sagen. Wenn du irgendwelche Sorgen hast, dann komm zu mir, ich helfe dir immer.« Damit ließ er mich los und goss mir nun doch einen Schnaps ein, den ich jetzt auch austrank. Ich konnte im Moment überhaupt nichts denken, und Fegelein ließ mir auch gar keine Zeit. Er redete weiter, ich hörte wie aus weiter Ferne, wie er davon sprach, dass alles »große Scheiße« sei, dieser Krieg und die Bolschewisten und alles, alles, aber dass eines Tages alles anders würde … Merkwürdig, wie ich das heute noch weiß, obwohl ich kaum zugehört habe.

Plötzlich war ich wieder draußen im Freien. Ganz leise fiel ein warmer Sommerregen, und ich lief die Landstraße weiter, aus dem Lager hinaus über die frischen grünen Wiesen, und es war sehr still und einsam. Ich kam mir sehr allein vor, und alles war entsetzlich traurig. Spät kehrte ich zurück in mein Zimmer. Ich wollte niemanden sehen und hören. Jetzt bloß kein Beileid und kein Mitleid hören. Da rief der Führerbunker an: »Frau Junge, kommen Sie heute zum Essen?« Ich sagte: »Nein, heute komme ich nicht.« Die Ordonnanz hängte ein. Aber schon nach ein paar Minuten klingelte es wieder. Linge selbst war diesmal dran. Er sagte: »Der Führer möchte dich auf jeden Fall kurz sprechen, auch wenn du nicht zum Essen bleibst, komm schnell herüber.



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