BINTI by Nnedi Okorafor

BINTI by Nnedi Okorafor

Autor:Nnedi Okorafor
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Cross Cult
veröffentlicht: 2018-03-15T00:00:00+00:00


INITIATIVE

'Trink das.' Sie reichte mir das Tongefäß.

Die Flüssigkeit schmeckte süß und rauchig, und als ich sie trank, floss sie durch meine Kehle und wärmte meinen Bauch. Sie nahm mir das Gefäß ab und stellte es neben sich auf den Boden. Wir saßen draußen in der heißen Sonne, nicht weit von der unterirdischen Höhle entfernt. Ich spürte, wie die Luft sanft und kühl aus dem Loch aufstieg. Über uns zog die Eule ihre großen Kreise.

Die Ariya reichte mir eine lange Feder. Die Eule hatte ihr erlaubt, sie aus ihrem Flügel zu rupfen. Als sie das tat, hatte die Eule einmal kurz mit dem Flügel geschlagen, so als versuche sie, einen plötzlichen Schmerz abzuschütteln. Als die Ariya mir die Feder reichte, bemerkte ich, dass ihr Stiel so spitz wie eine Nadel war.

'Sie hat keinen Namen', sagte die Ariya nun. 'Aber sie ist das einzige Tier, das die Zinariya noch selbst erlebt hat. Sie lebte bei dem, der den Ersten von uns das Zinariya gab. Wir wussten nicht, ob sie einen Anführer hatten, und sie waren so eng miteinander verbunden, dass wir sie nicht unterscheiden konnten, abgesehen von dem, der stets dieses Tier dabeihatte. Heute sieht sie wie eine gehörnte Eule aus, aber an anderen Tagen … nicht. Als die Zinariya uns verließen, erhielt sie einiges, unter anderem auch eine Aufgabe.'

Ich betrachtete die Federspitze. Im Sonnenlicht glitzerte sie ein wenig. Etwas Feuchtes klebte an ihr.

'Stich dir damit in die Fingerkuppe', sagte die Ariya. 'Fest. Dann drücke sie in die Wunde.'

Ich biss mir auf die Lippe. Ich verletzte mich nicht gern, weder absichtlich noch unabsichtlich.

'Du musst das selbst tun. Es ist deine Entscheidung. In der Feder stecken Katalysatoren, die in deinen Blutkreislauf eindringen müssen.'

'Okay', flüsterte ich. Doch bevor ich das tat, sagte ich: 'Z = z 2 + c' Die Gleichung teilte sich immer wieder auf wunderschön komplexe und komplizierte Weise. Schneller und schneller, bis ich das spulenartige Muster in meinem Kopf und vor mir sah. Schon bald wurde daraus ein Strom. Ein sanfter blauer Strom, den ich mit einem zweiten verband, den ich aus derselben Gleichung hervorrief. In meinem Geist bat ich sie, sich um mich zu wickeln und mich zu beschützen. Und dann stach ich mir im hellen Sonnenlicht mitten im Hinterland die Federspitze tief in den linken Daumen, während die Priesterin des Wüstenvolks, das in Wirklichkeit Enyi Zinariya hieß, zusah.

In den Geschichten der Sieben entstand das Leben in dem fruchtbaren roten Lehm, der Regenwasser in sich aufgesaugt hatte. Mikroorganismen wurden aktiv, weil eine der Sieben es so wollte und die anderen wissen wollten, was nun passieren würde. Dieser Lehm war die Mutter, Otjize. Ich war nun Lehm. Ich beobachtete mich aus der Ferne, ohne etwas zu fühlen, hatte aber meinen Körper im Griff. Ich hielt die Feder an meinen Daumen. Und dann, während Gleichungen mich umflatterten und blaue Ströme sich miteinander verbanden, handelte mein Körper auf einmal eigenständig.

Als ich fünf Jahre alt war, fragte ich meine Mutter, wie es sich anfühlte, ein Kind zu bekommen. Sie lächelte und sagte, dass man sich bei einer Geburt zurückziehen und dem Körper den Rest überlassen müsse.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.