Auf einem einsamen Weg by Louise Penny

Auf einem einsamen Weg by Louise Penny

Autor:Louise Penny [Penny, Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783311700845
Herausgeber: Kampa Verlag


24

»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Chief Inspector Beauvoir und stand auf, um Platz für Inspector Dufresne zu machen. »Ich lasse Sie dann mal mit Inspector Dufresne und Chief Superintendent Gamache allein.«

Er nickte Inspector Dufresne zu und fing dabei Gamaches Blick auf.

Gamache wusste natürlich ganz genau, was Beauvoir vorhatte. Das Gleiche, was er als Leiter der Mordkommission getan hätte.

Beauvoir hatte sich angehört, was die Familie zu sagen hatte. Jetzt war es an der Zeit, den Toten näher kennenzulernen. So gut es eben möglich war.

Beauvoir ging von Zimmer zu Zimmer, sah hinein. Manchmal ging er auch hinein.

Agents machten Fotos. Sicherten Spuren. Öffneten Schubladen und Schränke.

Sie grüßten ihn.

»Chief.«

Beauvoir antwortete mit einem Nicken, blieb aber weitgehend stumm. Beobachtete. Registrierte. Ohne zu überwachen, was sie taten, nahm er die Umgebung in sich auf.

Es war immer ein merkwürdiges Gefühl, unaufgefordert durch das Haus eines anderen Menschen zu laufen. Es so zu sehen, wie er es am Morgen verlassen hatte. Ohne zu wissen, dass er nie mehr zurückkommen würde. Ohne zu wissen, dass er an diesem Tag sterben würde.

Dieses Haus hatte etwas Solides, Behagliches, Friedvolles. Es war ein Zuhause, kein Statussymbol.

Die Farben waren gedämpft. Die Wände in einem sanften Blaugrau gestrichen. Dazwischen Akzente, die beinahe verspielt wirkten.

Ein hellgrünes geometrisches Muster auf den Vorhängen im Schlafzimmer. Alte Plakate von der Expo 1967 an den Wänden im Flur.

Über einem Stuhl im Schlafzimmer hingen ein paar achtlos hingeworfene Kleidungsstücke. Zusammengeknüllte Taschentücher im Papierkorb. Auf der Kommode ein bisschen Kleingeld, daneben ein gerahmtes Foto von Baumgartner mit seinen Kindern. Ein Junge und ein Mädchen.

Auf dem Nachttisch lagen ein Buch über amerikanische Politik und eine Ausgabe des Nachrichtenmagazins L’actualité.

Mit einem Kugelschreiber zog Beauvoir die Schublade auf. Weitere Zeitschriften. Stifte. Hustenbonbons.

Er schob sie wieder zu und sah sich nach einem Hinweis darauf um, dass hier eine weitere Person wohnte. Oder zu Besuch kam. Über Nacht.

Es waren weder Kleidungsstücke noch Zahnbürste von jemand anderem zu sehen.

Falls Baumgartner einen Partner oder Geliebten gehabt hatte, wies nichts darauf hin.

Beauvoir ging den Flur hinunter und betrat das Zimmer, das Baumgartner als Arbeitszimmer benutzt hatte. Und blieb abrupt stehen.

Er verstand nicht viel von Kunst. Erkannte keinen einzigen Künstler. Mit einer Ausnahme. Und diese Ausnahme hing in diesem Arbeitszimmer an der Wand über dem Kamin.

Ein Bild von Clara Morrow. Und nicht nur irgendein »Morrow«, es war eine Reproduktion ihres Porträts von Ruth. Aber es zeigte nicht Ruth.

Clara hatte die demente alte Dichterin als alternde Jungfrau Maria gemalt. Vergessen.

Verbittert.

Eine krallenartige Hand hielt einen zerfledderten blauen Schal um ihren Hals zusammen. Ihr Gesicht zeigte Verachtung. Wut. Dieses ergraute alte Weib hatte nichts mit der zarten jungen Madonna gemeinsam.

Ruth.

Aber. Aber. Da. In ihren Augen. Ein Schimmer, ein Funkeln.

Sämtliche Pinselstriche. Sämtliche Details. Sämtliche Farben des Bildes liefen auf diesen einen winzigen Fleck zu.

Ruth als Jungfrau Maria sah etwas in der Ferne. Kaum sichtbar. Kaum vorhanden. Eher eine Andeutung.

In die nahezu blinden Augen einer verbitterten alten Frau hatte Clara Morrow Hoffnung gemalt.

Beauvoir wusste, dass die meisten Leute, die vor dem Bild standen, die Verzweiflung sahen. Sie war auch kaum zu übersehen. Was sie übersahen, war die Botschaft des Bildes.



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