Ann Lindell - 05 - Nachtschwalbe by Kjell Eriksson

Ann Lindell - 05 - Nachtschwalbe by Kjell Eriksson

Autor:Kjell Eriksson [Eriksson, Kjell]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-05-27T22:00:00+00:00


26

Montag, 12. Mai, 15.30 Uhr

Es war einer der Momente, in denen Mitra sich mit Ali unterhalten wollte. Er kannte die Regeln. Diesmal hatte sie ihm von ihrer Zeit an der Universität von Teheran erzählt. Manches hatte Ali schon einmal gehört, aber diesmal erzählte Mitra, dass sie kurz vor Abschluss ihres Medizinstudiums gestanden hatte, als sie von der Geheimpolizei verhaftet wurde. Sie beschrieb die medizinische Fakultät und ihren Professor, der nicht nur ihr Lehrer, sondern auch ein Freund gewesen war. Kurz vor ihrer eigenen Verhaftung war er spurlos verschwunden.

»Ali, was willst du später einmal machen?«

Er versuchte zu lächeln, da er wusste, dass sie sein Lächeln mochte.

»Keine Ahnung.«

»Du musst lernen, das weißt du.«

Ali war klar, dass seine Mutter es längst durchschaut hatte: Ali fehlte zum Lernen einfach die Geduld. Die Aufforderung zu lernen war inzwischen zu einer leeren Formel geworden, die seine Mutter benutzte, um Ali mit guten Worten und Hoffnungen zu umgeben.

»Warum verpackst du Essen auf dem Flughafen, wenn du Ärztin bist?«

Mitra sah zu Boden, als hätte seine Frage sie beschämt. Sie zögerte mit einer Antwort.

»Du hättest doch Doktor werden können, und wir würden irgendwo in einem Haus wohnen«, fuhr Ali fort.

»Es hat sich eben nicht so ergeben«, sagte seine Mutter.

»Warum hast du nie einen Führerschein gemacht? Wir könnten aufs Land hinausfahren.«

Er sah den Bauernhof vor sich, den er und sein Großvater besucht hatten, und malte sich aus, wie seine Familie auf den Hof fuhr und von dem Bauernpaar empfangen wurde.

»Der Ausflug mit Großvater hat dir gefallen?«

Ali nickte.

»Ich würde gerne auf dem Land wohnen«, sagte er und bereute seine Worte sofort. Er wusste, dass jeder seiner Wünsche ihr neue Sorgen bescherte.

Diesmal lächelte Mitra.

»Aber das kannst du doch auch selbst, sobald du erwachsen bist«, sagte sie, und es klang tatsächlich, als wäre es möglich, ja geradezu wahrscheinlich, dass Ali einmal in einem roten Häuschen auf dem Lande – an einem Feldweg und umgeben von Bäumen und Sträuchern und Vögeln, die durch die Luft schwirrten – wohnen würde. Ali konnte sich gut vorstellen, wie es aussehen könnte. Zum ersten Mal hatte er ein Bild vor Augen, das nicht aus ihm selbst und dem Leben, das seine Familie führte, entstanden war.

Mitra wollte etwas sagen, das Ali sicher gefallen hätte. Das sah er an dem Lächeln, das ihre Worte vorbereitete, aber dann kam ihr das Telefon zuvor.

»Das ist ja ein schrecklicher Klingelton«, sagte Mitra und griff nach dem Hörer.

Ali war sofort klar, wer am Apparat war, als er Mitras Höflichkeitsfloskeln auf Persisch und den Gruß an die Mutter hörte. Scheinbar unbeschwert reichte Mitra den Hörer an Ali weiter, aber er sah ihr Zögern. Ahnte sie etwas? Genau wie er ihr ansah, was sie dachte, war sie es, die ihn am besten kannte. Sie war wie eine dieser Blumen, die Ali bei seinem Freund Alejandro gesehen hatte. Bei der kleinsten Berührung zogen sich deren Blätter zusammen.

»Es ist Mehrdad«, sagte sie. »Seine Mutter ist krank.«

Das konnte nur eines bedeuten: Sie lag wie gelähmt im Bett und konnte nicht aufstehen. Mehrdad war damit außer Gefecht gesetzt, er musste seine Mutter pflegen.



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