Am liebsten beides by Lukas Niederberger

Am liebsten beides by Lukas Niederberger

Autor:Lukas Niederberger [Niederberger, Lukas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783843604161
Google: ARGCnAEACAAJ
Herausgeber: Patmos-Verlag
veröffentlicht: 2013-08-26T22:00:00+00:00


Gute Entscheidungen zu treffen, fällt uns darum schwer, weil in der Regel verschiedene wertvolle Optionen in Konkurrenz zueinander stehen. Die Wahl für die eine wertvolle Option bedeutet automatisch eine Entscheidung gegen andere wert- und sinnvolle Alternativen. Entscheidungen stellen uns meistens die unbequeme Frage, welchen Preis wir für diesen oder jenen Wert zu bezahlen bereit sind. In Kursen oder in der Beratung berichten mir Menschen häufig von ihrem tiefen Wunsch, die Arbeitsstelle aufzugeben. Aber viele von ihnen sind nicht bereit, die damit verbundene Unsicherheit, einen bescheideneren Lebensstil oder gar Existenzängste in Kauf zu nehmen.

Während Philosophen und Theologen seit 3000 Jahren die These vertreten, dass es absolute und für alle einsehbare Werte gebe, die man mit unserer Vernunft in der Natur erkennen könne, verneinen die meisten heutigen Biologen die Existenz naturgegebener Werte in den verschiedenen Kulturen. Für sie ist Moral die Folge von sozialen Instinkten und Abmachungen. In manchen Kulturen isst man Hunde und Katzen, in anderen ist es verpönt oder gar verboten. In manchen Familienstrukturen tötet man im Namen der Ehre, in anderen hilft man den Ärmsten, um zur Gruppe zu gehören. Viele Menschen geben ihre Nebeneinkünfte bei der Steuerbehörde an oder verzichten auf Doping bei sportlichen Wettkämpfen, weil es vom Gesetz so vorgeschrieben wird, aber nicht zwingend aus ethischer Überzeugung.

Unsere Wertemaßstäbe bilden wir im Verlauf des Lebens, beeinflusst durch unsere Herkunftsfamilie und Erziehung, Ausbildung und berufliches Umfeld sowie unter dem Einfluss von Partnerinnen und Freunden, Medien, Recht, Gesellschaft und Religion. Werte sind heute nicht mehr so leicht einteilbar in eindeutig richtig oder falsch, gut oder böse, schwarz oder weiß. Nicht alle empfinden die gleichen Werte als wertvoll. Oft sprechen sich sogar einzelne Menschen, Gruppen, Parteien oder Kulturen gegenseitig ihre Werte ab. Darum ist es wichtig zu akzeptieren, dass in pluralistischen Gesellschaften gleichzeitig verschiedene Wertesysteme nebeneinander existieren. Dieter Hermann unterscheidet in seinem Buch »Posttraditionale Werte« drei Wertesysteme: die post-traditionalen Werte, die idealistischen Werte sowie die materialistischen Werte. Selbstverständlich gibt es Leute, die nur die idealistischen Werte wie Frieden und Gerechtigkeit, Liebe und Freundschaft, Solidarität und Toleranz als echte Werte bezeichnen. Materielle Werte wie Wohlstand und Sicherheit, Erfolg und Schönheit, Genuss und Mobilität definieren sie eher als Ziele. Und posttraditionale Werte wie Tradition und Pünktlichkeit, Patriotismus und Pflichtgefühl, Gesetzestreue und Sauberkeit bezeichnen sie als gutbürgerliche Sekundärtugenden.

Wie unterschiedlich Menschen eine Situation beurteilen und wie verschieden sie aufgrund ihrer Wertemaßstäbe entscheiden, zeigte mir vor 15 Jahren eine nachdenklich machende Zeitungsnotiz:

»Zwei Mädchen waren bei der Geburt am Neujahrstag 1998 von Hebammen aus Versehen miteinander vertauscht worden. Die Verwechslung kam nur durch Zufall an den Tag. Gentests gaben letzte Sicherheit. Drei Jahre später sind sie bei ihren leiblichen Eltern angekommen. Der ›Rücktausch‹ erfolgte nach der gemeinsamen Geburtstagsfeier der Mädchen im Januar 2001 am sizilianischen Küstenort Mazara del Vallo. ›Sie haben es gut verkraftet‹, sagten die Angehörigen. Einem der Großväter geht der Rücktausch sehr ans Herz. ›Er findet keinen Frieden mehr und weint immer‹, sagt seine Frau.«

Hier standen zwei Wertmaßstäbe in Konkurrenz. Auf der einen Seite die biologische Zugehörigkeit zur Familie, auf der anderen Seite die emotionale Verbundenheit.



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