Alternativmedizin - was sie leistet, wann sie schadet by C.H.Beck

Autor:C.H.Beck
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406659362
Herausgeber: C.H.Beck

Chelat-Therapie

Ablagerungen in den Blutgefäßen, im Volksmund häufig Arterienverkalkung oder Arteriosklerose genannt, sind ein Hauptgrund dafür, dass Menschen mit steigendem Alter unter allerlei potentiell tödlichen Erkrankungen zu leiden haben. Medizinisch ausgedrückt handelt es sich dabei um durch Arteriosklerose-Plaques, die sich unter anderem aus abgelagerten Kalzium-Salzen und Cholesterin bilden. Die Plaques verengen mit der Zeit nicht nur die Blutgefäße, sie nehmen ihnen auch die Elastizität. Die Folge sind Durchblutungsstörungen, die buchstäblich von Kopf bis Fuß reichen können.

Es gibt kein Medikament, das Blutgefäße von Arteriosklerose befreien kann Arteriosklerose erschwert dadurch den Nieren die Arbeit, lässt den Blutdruck steigen und kann so Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen. Auch das ‹Raucherbein› ist eine Folge der Arteriosklerose, ebenso wie manche Formen der Demenz. Man kann es sich leicht vorstellen: Wenn das Gehirn nicht mehr besonders gut durchblutet wird, kann es auch nicht mehr besonders gut funktionieren. Unzählige ältere Menschen hören von ihrem Arzt, dass sie Arteriosklerose hätten und deswegen so vergesslich wären. Verständlich, dass viele dieser Menschen gerne bereit sind, alles Mögliche an Medikamenten einzunehmen, um ihren Zustand zu bessern. Doch leider ist bis heute kein Medikament erfunden worden, das die Blutgefäße in Hirn, Herz, Beinen und Co. von Arteriosklerose befreien kann. Auch ich höre öfter mal den Satz: «Herr Doktor, gibt es denn nicht irgendwas gegen den Kalk in meinem Kopf?» Viele Betroffene sind regelrecht verzweifelt.

Chelate sollen unlösliches Kalzium einhüllen Wenn diese verzweifelten Menschen dann plötzlich hören oder lesen, dass sich mit einer sogenannten Chelat-Therapie die Ablagerungen in den Blutgefäßen auflösen lassen, sind viele verständlicherweise bereit, diese vermeintlich sensationelle Therapie auszuprobieren.

Chelat-Therapeuten behaupten, dass sie mit ihrer Methode die arteriosklerotischen Ablagerungen in den Blutgefäßen auflösen und deshalb sogar Bypass-Operationen am Herzen überflüssig machen. Die Chelat-Therapie könne das Kalzium aus den Arteriosklerose-Plaques herauslösen und so das verkalkte enge Gefäß wieder frei machen.

Um das zu erreichen, injiziert der Therapeut den Patienten den Wirkstoff EDTA (Ethylen-Diamin-Tetraacetat) in eine Vene. EDTA ist ein sogenannter Chelat-Bildner, was dem Stoff die Eigenschaft gibt, chemisch unlösliche Stoffe einzuhüllen und dadurch löslich zu machen, so dass sie mit Hilfe der Nieren aus dem Körper entfernt werden können. Das macht EDTA zu einem Mittel, das die Schulmedizin zum Beispiel bei Bleivergiftungen einsetzt. Nach Auffassung der Chelat-Therapeuten funktioniert das Einhüllen und Ausscheiden aber auch mit dem unlöslichen Kalzium in den Arteriosklerose-Plaques. In den USA sollen sich über 100.000 Menschen den meist langdauernden Infusionstherapien unterziehen – illegal allerdings, denn der Stoff EDTA ist in den USA als Arzneimittel nicht zugelassen. Für Deutschland gibt es keine Zahlen, wie oft die Chelat-Therapie praktiziert wird.

Die Versprechungen der Chelat-Therapeuten bewahrheiten sich nicht Was sensationell und eines Nobelpreises würdig klingt, weil es eine Geisel der Zivilisationsgesellschaft in den Griff bekommen würde, ist allerdings Humbug. Die Versprechungen der Chelat-Therapeuten konnten bisher in keiner unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung belegt werden. Die von den Chelat-Therapeuten angenommene Wirkung des EDTA gegen Arteriosklerose gilt als unwahrscheinlich, weil die Entstehung von Plaques in den Blutgefäßen nur in geringem Maße von ihrem Kalzium-Gehalt abhängt. Andere Faktoren, zum Beispiel die ständig erhöhten Blutfettwerte, spielen eine wesentlich wichtigere Rolle für die Entstehung der Arteriosklerose.

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