Affäre Nina B. Roman by Johannes Mario Simmel

Affäre Nina B.  Roman by Johannes Mario Simmel

Autor:Johannes Mario Simmel [Simmel, Johannes Mario]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426419083
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2012-10-02T16:00:00+00:00


26

An diesem Tag gab es ein Gewitter, das sehr heftig war.

Ich erinnere mich an dieses Gewitter, weil ich mich an diesen Tag erinnere, ich glaube nicht, daß ich ihn je vergessen werde. Das Gewitter zog stundenlang über Düsseldorf hin und her, ohne loszubrechen. Der Himmel war schwarz, die Luft schwefelfarben von dem Staub, den jähe Windstöße immer wieder wolkenwärts trugen. Aber noch fiel kein Tropfen, noch krachte kein Donner einem zuckenden Blitz nach. Es war sehr dunkel und heiß in den Straßen, in vielen Geschäften brannte schon um drei Uhr nachmittags elektrisches Licht. Auch der Wind war heiß. Und alle Menschen waren gereizt.

Um 15 Uhr 30 sollte ich Nina bei einer Freundin in der Dellbrückstraße abholen. Auf der Fahrt dorthin drehte ich das Autoradio an. Ich hatte das Fenster an meiner Seite herabgelassen, und der heiße, trockene Wind strich über mein Gesicht, während ich einer hohen Frauenstimme lauschte, die, wie zu Kindern, diese Worte sprach: »… als sie aber in der Dunkelheit zu der Brücke kamen, da ließ der ältere Bruder den jüngeren vorangehen, wie es ihm der Teufel geraten hatte, und als sie mitten über dem Wasser waren, gab er ihm von hinten einen Schlag, daß er tot hinabstürzte. Da begrub der ältere Bruder den jüngeren unter der Brücke und nahm ihm den Goldschatz fort, denn so hatte der Teufel es ihm befohlen, und brachte den Goldschatz dem König mit dem Vorgeben, er habe ihn gefunden, worauf er die Tochter des Königs zur Gemahlin erhielt …«

Ein Rotlicht ließ mich halten. Gelber Staub umwehte den Wagen. Immer mehr verfiel das Licht. Ich dachte, daß in deutschen Märchen viel gemordet und gelogen, betrogen und gefürchtet wurde, wie im Leben, wie im Leben.

Das Licht sprang auf Grün, ich fuhr weiter.

»… weil aber vor Gott nichts verborgen bleibt, trieb nach langen Jahren ein Hirte seine Herde über die Brücke und sah unten im Sande ein schneeweißes Knöchelchen liegen und dachte, das gäbe ein gutes Mundstück. Da stieg er herab, hob es auf und schnitzte ein Mundstück daraus für sein Horn …«

Jetzt flammten die Straßenlampen auf. Die Menschen hasteten. Die ganze Straße wurde nervös. So waren die Städte nervös geworden, bevor die Sirenen heulten, damals …

»… als der Hirte zum erstenmal darauf blies, fing das Knöchelchen zur großen Verwunderung des Hirten von selbst an zu singen:

›Ach, du liebes Hirtelein,

Du bläst auf meinem Knöchelein,

Mein Bruder hat mich erschlagen,

Unter der Brück’ begraben

Um des Goldes fein

Für des Königs Töchterlein.‹



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