Acht Tage im Mai by Volker Ullrich

Acht Tage im Mai by Volker Ullrich

Autor:Volker Ullrich [Ullrich, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2020-01-01T23:00:00+00:00


In Dachau, wo zwei Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers für die Unterbringung sowjetischer DPs genutzt wurden, spielten sich im Januar 1946 dramatische Szenen ab. Vergeblich mühten sich US-Soldaten, die Insassen zu überreden, in einen bereitstehenden Zug zu steigen. Als sie schließlich die Baracken stürmten und dabei auch Tränengas einsetzten, hatten eine ganze Reihe der DPs versucht, sich das Leben zu nehmen. Ein amerikanischer Soldat berichtete für die Armeezeitung «The Stars and Stripes»: «Es waren nicht Menschen in den Baracken, als wir hineinkamen, es waren Tiere. Die GIs schnitten die meisten rasch los, die sich an den Deckenbalken erhängt hatten. Die, die noch bei Bewusstsein waren, schrien uns auf Russisch an, deuteten dabei erst auf die Schusswaffen der Soldaten, dann auf sich selbst, und baten uns flehentlich, sie zu erschießen.»[56]

Für einen Teil der sowjetischen Rückkehrer war der Leidensweg noch nicht beendet. Sie wurden zunächst in «Filtrierlagern» festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen. Wer der Kollaboration für schuldig befunden wurde, kam in ein Arbeitsbataillon oder ein Straflager. Auch diejenigen, die einer Bestrafung entgingen, waren immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Ihr unfreiwilliger Aufenthalt in Nazi-Deutschland galt als fortwährendes Stigma und stempelte sie zu Bürgern zweiter Klasse. Erst seit Beginn der Neunzigerjahre, mit dem Ende der Sowjetunion, wurde der Umgang mit den «Ostarbeitern» zum öffentlichen Thema. Wesentlichen Anteil daran hatte die Moskauer Menschenrechtsorganisation «Memorial». In zahlreichen Interviews erhielten die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erstmals die Möglichkeit, sich zu dem, was bisher als Makel gegolten hatte, zu bekennen.[57] Es dauerte allerdings noch einmal Jahre, bis die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder die deutsche Industrie, die sich jahrzehntelang hartherzig gezeigt hatte, dazu bewegen konnte, sich an einer Stiftung zur individuellen Entschädigung der Zwangsarbeiter zu beteiligen.[58]

Eine besondere Herausforderung stellte die relativ kleine Gruppe der jüdischen DPs dar. Nur 50.000 bis 75.000 hatten auf dem Gebiet der späteren westlichen Besatzungszonen die Konzentrationslager überlebt; viele waren bei ihrer Befreiung völlig entkräftet und schwer traumatisiert, hatten ihre Angehörigen verloren und keine Heimat, in die sie zurückkehren konnten. Sie waren noch mehr als andere auf Hilfe und Fürsorge angewiesen. Doch der alliierten Militärverwaltung fehlte zunächst das Verständnis für die besondere Situation der ehemaligen jüdischen KZ-Häftlinge. Sie wurden nicht als eigene Gruppe anerkannt, sondern mussten mit nichtjüdischen DPs in überfüllten Lagern leben, die Assoziationen an ihre Leidenszeit in den Konzentrationslagern weckten. Earl G. Harrison, der im Sommer 1945 im Auftrag des amerikanischen Außenministeriums die DP-Lager in der US-Zone inspizierte, kam in seinem Abschlussbericht an Präsident Harry S. Truman vom 24. August zu einem vernichtenden Urteil: «Wir scheinen die Juden wie die Nazis zu behandeln, mit der Ausnahme, dass wir sie nicht vernichten. Sie sind in großer Zahl in Konzentrationslagern untergebracht und werden anstelle der SS-Truppen von unseren Militärs bewacht. Man muss sich die Frage stellen, ob die Deutschen, wenn sie dies beobachten, nicht vermuten, dass wir die NS-Politik fortsetzen oder sie jedenfalls gutheißen.»[59]

Vor allem dieser Bericht sorgte für ein rasches Umdenken. Umgehend wurden rein jüdische Lager eingerichtet, die unter jüdische Selbstverwaltung gestellt wurden; die tägliche Kalorienzuteilung wurde deutlich erhöht, und die jüdischen DPs erhielten auch bevorzugt Wohnungen zugewiesen.



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